Replik

„Beyond Growth“: Die unterschätzte Armutsfalle

So wie manche glauben, dass der Strom immer aus der Steckdose und Geld immer aus dem Bankomaten kommt, glauben die Befürworter der Beyond Growth-These, dass Transformation ohne Wachstum stattfinden muss. Warum das falsch ist, erklärt die Chefin von Eco Austria, Monika Köppl-Turyna, in diesem Gastbeitrag.

„Degrowth“ oder „Postwachstum“ sind aktuelle Schlagwörter in der gesellschaftspolitischen Debatte - und für ihre Befürworterinnen und Befürworter Projektionsflächen für eine bessere Zukunft. Die Annahme, dass weniger Wirtschaftswachstum eine bessere Zukunft bedeutet, hält dem ökonomischen Reality-Check allerdings nicht stand. 

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Bereits die Pandemie hat gezeigt, was bei deutlich weniger Wachstum geschieht: Dramatische Arbeitsplatzverluste und soziale Verwerfungen konnten nur durch massive staatliche Ausgaben verhindert werden. In einer Wirtschaft, die dauerhaft nicht wächst oder etwa schrumpft, würden die Mittel zur Bekämpfung der sozialen Folgen von temporär ausbleibendem Wachstum rasch fehlen. 

Der Direktor des Frederick S. Pardee Center for International Futures, Jonathan David Moyer, hat in einer Studie gezeigt, dass ein globales Szenario mit negativem Wachstum die Verfolgung globaler Entwicklungsziele, wie die Beseitigung von Armut, dramatisch beeinträchtigen würde. Sogar bei globalen politischen Maßnahmen, welche die direkten Überweisungen an Arme und Rentner signifikant erhöhen, Einkommensungleichheit drastisch verbessern und Militärausgaben eliminieren, würde das Szenario des globalen negativen Wachstums zu einem Anstieg von 15 Prozentpunkten bei extremer globaler Armut bis 2100 führen, so das Ergebnis der Studie. Die Klimaziele wären zwar damit erreicht, aber der Preis dafür in Form von sinkender Lebenserwartung und herrschender Armut wohl unverkraftbar hoch.

Sie warten nicht auf eine bessere Zukunft für alle

„Beyond growth“ wartet nicht auf eine bessere Zukunft für alle, sondern das Gegenteil. Die Kritik an einem „wachstumsabhängigen Sozialsystem“ erinnert an die Erwartung, dass Strom immer aus der Steckdose und Geld immer aus dem Bankomaten kommt – unabhängig vom Input. Und so verständlich wie es ist, dass für Nicht-Ökonomen eine Größe, wie das Bruttoinlandsprodukt etwas abstrakt klingt, so wichtig ist es zu verstehen, dass wir mit demselben BIP als Gesellschaft die „guten Sachen“ kaufen können: etwa steuerfinanzierte Bildung für alle Kinder, eine funktionierende Gesundheitsversorgung oder eben auch die notwendige Infrastruktur, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Leistungskraft von Arbeitnehmern und das Wachstum der Wirtschaft sind unverzichtbare Grundlagen für eine gute Lebensqualität. 

Die oben zitierte Studie zeigt zwar, dass auch durch „Schrumpfen“ Klimaziele erreicht werden können, aber Degrowth ist keinesfalls eine notwendige Bedingung dafür. Viel mehr ist eine Entkopplung von Wachstum und Emissionen nicht nur möglich, sondern bereits Realität. Die Annahme, dass mehr Wachstum automatisch zu mehr Umweltzerstörung führt, ist für entwickelte Länder wie Österreich falsch. Die Umwelt-Kuznets-Kurve zeigt, dass die Emissionen verschiedener Umweltschadstoffe in einer sich entwickelnden Volkswirtschaft zunächst bis zu einem Gipfel zunehmen und danach mit weiter steigendem Pro-Kopf-Einkommen wieder abnehmen. In entwickelten Ländern sinken die Emissionen mit weiterem Wachstum durch mehr Effizienz, Innovation und die Umwandlung der Industrie- hin zur Dienstleistungsgesellschaft.

Wir brauchen mehr Wachstum

Es lässt sich sogar sagen: für eine erfolgreiche Transformation brauchen wir mehr Wachstum – aber durchaus ein Wachstum anderer Qualität: Es braucht künftig unter anderem die Einbeziehung sauberer Energietechnologien in den Energiemix, verstärkte globale Kooperation sowie den Transfer von umweltfreundlichen Technologien, die Förderung einer nachhaltigen Industrialisierung, moderne Rahmenbedingungen für die benötigten Fachkräfte oder auch die Nutzung von CO2 als Ressource.

Gerade Investitionen in die grüne Transformation erfordern mehr finanzielle Mittel und damit mehr Wachstum: Um das Ziel einer Senkung der Emissionen um 41 % bis 2040 zu erreichen, wäre nach unseren Berechnungen eine jährliche reale Wachstumsrate des BIP von 4,3 % notwendig. 

Innovationskraft und Wachstum sind und bleiben die auch aus wirtschaftlicher Sicht wichtigsten Treiber für eine positive Zukunftsentwicklung in einem marktwirtschaftlichen, liberal-demokratischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Staatlich bewirkte wirtschaftliche Schrumpfung mit gleichzeitig massiven Folgen für Umwelt und Gesellschaft hat es in der Vergangenheit ausreichend gegeben. Die Qualität unseres Wachstums muss in vielen Bereichen besser werden – aber zu Wachstum als Grundlage für Investitionen in Gesellschaft und Umwelt gibt es keine Alternative. 

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin

Prof. Dr. Monika Köppl-Turyna (* 1985 in Warschau) ist Direktorin des 2012 gegründeten Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria. Sie promovierte 2011 an der Universität Wien, war Assistenzprofessorin am Lisbon University Institute und von 2015 bis 2020 Senior Economist bei Agenda Austria. 

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