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Die intelligente Fabrik

Autodesk Technology Center in Boston
Autodesk Technology Center in BostonFabiano Feijo
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Intelligente Automatisierung soll den Weg zur Industrie 4.0 festigen. In der Fabrik der Zukunft sind künstliche Intelligenz, Robotik und totale Konnektivität zentrale Taktgeber bei immer autonomeren Produktionsprozessen. Das verändert auch die Arbeitswelt der Menschen.

Was als vielversprechende Vision im Juli 2021 begann, ist knapp drei Jahre später zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Das Forschungsprojekt „Vertikal integrierte, nachhaltige End-to-End-Fabrik“, kurz VE2E, entwickelt innovative Ansätze zur Optimierung digitaler Montageprozesse vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt, ganz im Sinne einer digitalen Fabrik der Zukunft. Der Fokus lag dabei auf Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Automatisierung. Am Prozess beteiligt war ein Konsortium aus vier industriellen und vier institutionellen Partnern unter der Leitung von Premium Aerotec. Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg zählt zu den weltweit führenden Anbietern von zivilen und militärischen Flugzeugstrukturen. Zu seinen Kernkompetenzen gehört die Entwicklung und Produktion von großen und komplex geformten Flugzeugkomponenten aus Aluminium, Titan und Carbonfaser-verstärktem Kunststoff (CFK).

Fabrik der Zukunft

Um ein gesamtes Produktionssystem vollständig zu digitalisieren und zu vernetzen, braucht es als Grundlage ein digitales Backbone, das die Integration der Produktionsanlagen ermöglicht. Die notwendige Ausrüstung für diese Fabrik der Zukunft im Projekt VE2E lieferte Broetje-Automation. Das Maschinenbauunternehmen in Rastede, Deutschland, das sich auf Produktionsprozesse in der Luft- und Raumfahrtindustrie spezialisiert hat, stellt Maschinen zur Verfügung, die mit einem digitalen Zwilling ausgestattet sind. Geliefert wird alles, was es für die durchdigitalisierte Produktion benötigt, von kleinen manuellen Werkzeugen über große, komplexe Montagesystemen für Flugzeuge und die Fabrikplanung bis hin zu Tools zur Implementierung ganzer Montagelinien.

„Die Fabrik der Zukunft ist stark digital vernetzt. Für uns als Maschinenbauer wird dieses Thema immer wichtiger“, betont Broetje-Automation- Geschäftsführer Lutz Neugebauer. „Wir haben uns in den letzten Jahren immer mehr zu einem Software- und Digitalisierungsunternehmen entwickelt. Der VE2E war ein wichtiger Meilenstein in dieser Strategie.“ Die im Laufe des Projekts erzielten Ergebnisse würden zeigen, was eine gut durchdachte Fabrik der Zukunft zu leisten imstande ist. So wurden im Rahmen des Projekts beispielsweise Nachhaltigkeitseffekte durch die Verringerung des Einsatzes von Titanrohstoffen erzielt, wodurch mehr als 500 Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden können. Im Bereich der additiven Fertigung konnte die Produktivität um rund 300 Prozent gesteigert werden, während der Ressourcenverbrauch gleichzeitig um 70 Prozent gesenkt wurde.

Human-Machine-Interface

„Der zukünftige Erfolg unserer Hightech-Industrie ist untrennbar mit der Digitalisierung und Automatisierung verbunden“, bestätigt Joachim Schmidt, Standortleiter von Premium Aerotex im friesländischen Varel. Eine bedeutende Rolle kommt dem effizienten Zusammenwirken von Mensch und Maschine zu. Zunehmend gefragt ist der Einsatz kollaborativer Robotersysteme, bei denen Roboter Arbeiter bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen. „Der Schwerpunkt der Anwendungen liegt auf der Unterstützung manueller Arbeitsabläufe, bei denen eine vollständige Automatisierung nicht möglich ist oder die Zugänglichkeit für Industrieroboter nicht geeignet ist“, heißt es bei Broetje-Automation, deren Maschinen mit einem harmonisierten Human-Machine-Interface-Konzept versehen sind. HMI-Konzepte zeichnen dafür verantwortlich, dass die Interaktion zwischen Mensch und Maschine reibungslos vonstattengeht. Die Vorteile der hauseigenen Light-Robotic-Lösungen, die u. a. für Tätigkeiten wie Schleifen, Versiegeln, Bohren oder Befestigen geeignet sind, skizziert man beim deutschen Maschinenbauer wie folgt: „Beschleunigung manueller Arbeitsabläufe, gefahrlose Nutzung des gleichen Arbeitsbereichs wie Menschen dank inhärenter Sicherheitsfunktionen, Datensammlung für IT-Systeme auf Basis einer modularen Plattform für kollaborative Roboter.“

Neue Arbeitswelt

„Mit der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung von Systemen im Zuge der Transformation zu Industrie 4.0 werden durch intelligente Automatisierung Innovationsschübe in der Fertigungsbranche ermöglicht. Die Maschinen von morgen werden dank leistungsstarker Machine-Learning-Kapazitäten in der Lage sein, unerwartete Vorfälle vorherzusehen und autonom entsprechende Maßnahmen einzuleiten“, sagt Detlev Reicheneder, Senior Director, Business Strategy Design and Manufacturing bei Autodesk in Deutschland, einem Anbieter von Software für Architektur, Bauwesen, Ingenieurwesen, Design, Herstellung, 3-D-Design und Produktion. Die sogenannte intelligente Automatisierung führt laut dem studierten Mikromechaniker und Elektrotechniker zu einem Zustand der Hyperautomation, in dem das Potenzial der Prozessautomatisierung komplett ausgeschöpft wird: „Das Ergebnis ist eine weitgehend autonome Fertigungsanlage, die ohne menschliches Zutun zur Überwachung, Analyse und Optimierung von Prozessen in der Lage ist.“ Robotic Process Automation (RPA) lautet das passende Stichwort, wenn RPA-Software zur Überwachung und Nachverfolgung menschlicher Handgriffe eingesetzt wird, die dann analysiert und von Maschinen imitiert werden, um sie folglich zu automatisieren.

Die vollautomatisierte Fertigungsanlage, in der sämtliche Arbeitsschritte ohne jegliches menschliche Zutun von autonomen Fahrzeugen, Robotern, intelligenten Maschinen und Software gesteuert und abgewickelt werden, dürfte aber auch in Zukunft eher die Ausnahme als die Regel darstellen. „In der Mehrzahl aller Betriebe wird die Realität eher so aussehen, dass Cobots in hochgradig flexiblen Produktionsumgebung buchstäblich Hand in Hand mit menschlichen Arbeitskräften zusammenarbeiten. Der nächsten Generation von Fachkräften werden neuartige technische Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die ein bislang undenkbares Maß an Produktivität und Effizienz in der Fertigung unterstützen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass sie das Potenzial haben, die Welt zu verändern“, so Reicheneder, der auch einen Blick auf die Berufsperspektiven für menschliche Arbeitskräfte wirft: „Da wird es einschneidende Veränderungen geben. Der Trend geht eindeutig von der körperlichen zur Kopfarbeit. Herkömmliche Fertigungsberufe in der Werkshalle verlieren zunehmend an Relevanz. Dafür eröffnen sich neue Chancen für Fachkräfte mit hervorragenden kognitiven und kreativen Kompetenzen. Im automatisierten Fertigungsbetrieb der Zukunft werden vor allem Arbeitskräfte benötigt, die für die Orchestrierung der komplexen Systeme und Netzwerke zuständig sind.“ Die Rede ist insbesondere von Fähigkeiten zum zielgerichteten Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen: „Das zeigt auch unsere aktuelle Studie für 2024: State of Design & Make. Dort nennen Entscheider aus der Fertigungsindustrie die ‚Fähigkeit zur Implementierung und Arbeit mit KI‘ als die wichtigste Kompetenz der Zukunft.“

Intelligente Robotik

Während konventionelle Industrieroboter nur Maschinen sind, die starr und unflexibel ausführen, was ihnen einprogrammiert wurde, erschafft der KI-Einsatz bei Robotern ganz andere Möglichkeiten. Robotersysteme mit eigener Intelligenz, die mit Sensoren (Kameras, Kraftsensoren usw.) die Umgebung erfassen und eigene Bewegungsmuster entwickeln, sind quasi Industrieroboter mit leistungsfähigen Gehirnen. „Die herkömmliche, zeitaufwendige und komplexe Programmierung von Robotern wird durch intelligente Robotik revolutioniert. Anstelle von Hunderttausenden manuell eingegebener Befehle, liefert künstliche Intelligenz die benötigte Prozessintelligenz“, sagt Christian Fenk, Chief Sales Officer bei robominds. Das Münchner KI-Robotikunternehmen verwirklicht seine Vision, jeden Industrieroboter mit einem Gehirn auszustatten. Basis dafür ist die sogenannte robobrain®-Technologie, die Industrierobotern menschliche Intelligenz verleiht und künstliche Intelligenz, Vision und smarte Skills vereint – mit dem Ziel, jene Flexibilität zu erlauben, mit der bislang starre Prozesse effizient automatisiert werden können. 

»Die herkömmliche, zeitaufwendige und komplexe Programmierung von Robotern wird durch intelligente Robotik revolutioniert. Anstelle vieler manuell eingegebener Befehle liefert KI die benötigte Prozessintelligenz.«

Christian Fenk

Chief Sales Officer, robominds 

Im Kampf gegen den sich in der Produktion zuspitzenden Fachkräftemangel entlasten KI-basierte Lösungen von robominds – z. B. für die Vereinzelung von Bauteilen und Depalettieren von Kartonagen und Kleinladungsträgern − Mitarbeitende und maximieren die Effizienz im Betrieb. Mit der neuesten Lösung, dem automatisierten KLT-Handling, können Anwender von Lagersystemen (z. B. AutoStore) das Be- und Entladen dank KI präzise und zuverlässig automatisieren. Auch an neuen Innovationen wird fortlaufend gearbeitet: Gemeinsam mit anderen Technologiepartnern entwickelt robominds im Rahmen des bayerischen Forschungsprojekts KoKIRo (Kognitives, KI-gesteuertes Roboter- und Montagesystem) lernfähige Roboterassistenten für die Produktion. KoKIRo soll es Robotern ermöglichen, sich selbstständig zu konfigurieren und den Prozess zu erlernen, wie viel Druck oder welches Werkzeug sie benutzen sollen.  „KoKIRo ist der nächste Schritt in der Evolution von Montagerobotern“, so robominds-Gründer und -CEO Tobias Rietzler. „Mit dem robobrain® und smarten KI-Skills werden Industrierobotern erstmalig die benötigten Fähigkeiten für die Durchführung von feinfühlig und in Echtzeit geregelten Montageprozessen verliehen.“

Dass die Branche wächst, zeigen aktuelle Marktdaten des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Laut VDMA sind die Umsätze für Robotik und Automation im Vorjahr um 13 Prozent gestiegen. Für 2024 wird eine weiterer Umsatzrekordwert von 16,8 Milliarden Euro erwartet. „Unsere Branche spielt eine entscheidende Rolle als Schlüsseltechnologie, um vielfältige Herausforderungen wie den demografischen Wandel, die Transformation zur Klimaneutralität wie auch die Stärkung von Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit zu bewältigen“, ist VDMA-Vorsitzender Frank Konrad überzeugt.

Totale Konnektivität

Die Vision von Industrie 4.0 und insbesondere jene der Smart Factory ist es, Produktion mit digitalen Maßnahmen zu erleichtern und zu optimieren. Wenn von Fabrik der Zukunft gesprochen wird, ist eine Fabrik gemeint, die dank einer smarten Kommunikation selbst Anpassungen während der Produktion vornehmen und die Produktionsprozesse während des gesamten Lebenszyklus, je nach den sich ändernden Anforderungen, neu konfigurieren kann. So sollen Engpässe vermieden und freie Ressourcen effizient genutzt werden. Die Fertigungs- und Produktionssysteme folgen Produktionsschwankungen und Kostensenkungen in kürzester Zeit und bringen im Idealfall gleichzeitig die Qualität der Produkte auf ein neues Niveau.

Dass durch den Einsatz von intelligenter Automatisierung Produktivität, Qualität und Effizienz gesteigert werden können, weiß man aus Erfahrung beim österreichischen Holzwerkstoff-Hersteller Egger. Dessen Werk in Unterradlberg, St. Pölten, einer von drei heimischen Egger-Produktionsbetrieben mit rund 450 Mitarbeitenden in Bereichen wie Produktion, Logistik, Vertrieb und Forschung, wurde im Rahmen des Produktionswettbewerbs Fabrik 2023 zur österreichischen „Smart Factory des Jahres“ gekürt. Bei dem von Fraunhofer Austria und dem „Industriemagazin“ ausgelobten Award für produzierende Unternehmen mit besonders nachhaltigen und innovativen Ansätzen hat Egger nach Angaben der Experten-Jury insbesondere durch seinen gesamtheitlichen Ansatz eines automatisierten und vernetzten Produktionsbetriebes überzeugt. Hervorgehoben wurde vor allem die eigenständige Schaffung von Systemen zur Prozessoptimierung.

Bei Egger selbst betont man in diesem Zusammenhang die Bedeutung von digitalen Netzwerken, die sich, so Aufsichtsratsmitglied Walter Schiegl, „bei uns durch das gesamte Unternehmen ziehen, von der Rekrutierung bis zur Fertigung, vom Manufacturing Execution System bis zum RFID-Chip in der Logistik“. Dass die totale Konnektivität der aktuell wichtigste Trend in der smarten Fabrik ist, betont in einem Egger-Kundenmagazin-Interview auch Jivka Ovtcharova, Direktorin im Forschungszentrum für Informatik Karlsruhe (FZI): „Die digitale Vernetzung stellt völlig neue Randbedingungen für Märkte, Produkte, Produktionsstandorte und Dienstleistungen dar, die sich am besten durch den Begriff Smart Factory ausdrücken lassen. Es geht dabei um die flexible, echtzeitfähige, unter Umständen auch ortsübergreifende Vernetzung von Maschinen, Dienstleistungen und Menschen zu dem Zweck, Waren on demand, also auf Anfrage, kostengünstig zu produzieren, zu nutzen und zu teilen. Das Herzstück der Smart Factory besteht in deren selbstbestimmtem oder intelligenten Einsatz aller Unternehmensbereiche über das Internet.“

Disruptives Potenzial

Zu den jüngsten heimischen Preisträgern in Sachen intelligenter Automatisierung zählt ebenfalls der in Graz ansässige Technologiekonzern Andritz. Das, nach Nettoumsatz bemessen, größte Unternehmen der österreichischen Maschinenindustrie, erhielt kürzlich den Microsoft Intelligent Manufacturing Award 2024 in der Kategorie „Disrupt!“. Ausgezeichnet werden dabei Lösungen, die das Potenzial haben, Wertschöpfungsketten grundlegend zu transformieren. Andritz erhielt den Preis für seine digitalen Lösungen zum autonomen Betrieb von Zellstofffabriken.

Die digitale Plattform Metris liefert dabei die Basis für die Umstellung auf autonome Produktion und bietet Industriebetrieben Unterstützung über den gesamten Lebenszyklus hinweg im Hinblick auf Herausforderungen wie Betriebskosten, Prozessstabilität, Betriebssicherheit und Nachhaltigkeit. „Die Metris All-in-one-Digitalisierungsplattform vereint in einem integrierten Ansatz einen kompletten Satz an Funktionalitäten für professionelles Produktionsmanagement, Simulation und Optimierung mit neuesten Methoden der künstlichen Intelligenz sowie Cybersicherheit und Zustandsüberwachung mit intelligenten Sensoren“, erläutert Head Of Group Communications Susan Trast − und fügt an: „Der Weg dahin führt über einen fünfstufigen Prozess, der in unterschiedlicher Ausprägung bereits in 39 Zellstofffabriken umgesetzt ist. Eine dieser Fabriken läuft mittlerweile zu 97 Prozent autonom – der Industrie-Benchmark liegt bei 60 bis 65 Prozent – und konnte dadurch ihre Produktivität um 18 Prozent steigern.“

Zu den unter der Technologiemarke Metris zusammengefassten digitalen Technologien von Andritz im Bereich von Industrial Internet of Things zählt auch der Metris Digital Twin. Dieser stellt eine digitale Nachbildung des physischen Prozesses dar und verwendet anlagenspezifische Informationen wie tatsächliche physische Abmessungen und Geräteeigenschaften. „Wenn der digitale Zwilling mit Online-Anlagendaten verbunden ist, fungiert er wie ein Leistungsinformationstool, ähnlich einer MRT des menschlichen Körpers – beide können verwendet werden, um ansonsten nicht erkennbare Anomalien zu finden und die Lücken zwischen tatsächlichem und optimalem Betrieb aufzuzeigen“, heißt es bei Andritz. Der digitale Zwilling erfasst den aktuellen Anlagenzustand inklusive Messwertstörungen und sendet die resultierenden Daten über das Leitsystem an die Anlage zurück – und das in Echtzeit. Seine Ergebnisse und Ratschläge stellt er in einer Kombination aus Grafiken, Zahlen, Texten und Alarmen an und kann in das Human-Machine-Interface der Anlage oder andere Datensysteme eingebettet werden. „Das in die Simulation eingebettete Wissen ermöglicht es dem Digital Twin, mit minimalen Eingaben zu arbeiten und Daten für intelligente strategische Entscheidungen zu liefern“, betont man bei Andritz.

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