Wirtschaftskriminalität: Dieb mit beschränkter Haftung

Jedes zweite österreichische Unternehmen ist Opfer von Wirtschaftskriminalität. Nur 44 Prozent der Fälle werden zur Anzeige gebracht.

WIEN (g. h.). Sie kam stets pünktlich zur Arbeit, war nie im Krankenstand und gab nie Anlass zu Beschwerden. Eine Mitarbeiterin, wie man sie sich nur wünschen kann. Die Sache hatte nur einen Haken: Die Kollegin existierte nur in den Personalunterlagen. Dafür war der Leiter der Lohnverrechnung echt. Echt kriminell war, dass er mehrere Gehälter nicht existenter Mitarbeiter kassierte.
"Jedes zweite österreichische Unternehmen ist Opfer von Wirtschaftskriminalität", sagt Peter Humer der KPMG, der größten Wirtschaftsberatungsfirma Österreichs. Der Experte zitiert aus einer KPMG-Umfrage unter den 500 Top-Unternehmen Österreichs. Fazit: Zwei Drittel der Kriminellen sitzen im Betrieb. 13 Prozent der Delikte gehen auf das Konto des Managements. Diese 13 Prozent machen aber 48 Prozent der Schadenssumme aus.

Laut den Unterlagen des Einkaufsmanagers sind die Lieferungen einer bestimmten Firma immer pünktlich eingelangt, dementsprechend rasch wurde auch bezahlt. Das Firmenbuch kannte den Lieferanten allerdings nicht. Kein Wunder, stellte sich das Ganze doch als Scheingeschäft heraus. Die Geld hatte der Einkaufsmanager eingestreift.

1,2 Mrd. Euro Schaden erleiden heimische Unternehmen jedes Jahr durch wirtschaftskriminelle Machenschaften, sagt KPMG-Experte Humer. Im Schnitt mache jeder einzelne Fall einen Schaden von 400.000 Euro aus. Bei Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern liege die durchschnittliche Schadenshöhe bei 500.000 Euro. "Je mehr Mitarbeiter, umso größer das Risiko", berichtet Humer.

Nach wie vor machen Diebstähle mit 74 Prozent das Gros der Wirtschaftsdelikte aus. Doch immer öfter bekomme es die Wirtschaftspolizei mit gefälschten (Spesen)-Rechnungen oder gefälschten Finanzinformationen zu tun. Wenn die Wirtschaftspolizei überhaupt informiert wird. Denn Wirtschaftskriminelle sind GmbHs - Ganoven mit beschränkter Haftung. 56 Prozent der Verbrechen kommen laut KPMG nie zur Anzeige. Die Firmen hätten meist Angst vor Negativ-Werbung. Auch die Wiedergutmachung des Schadens sei Grund, dass Verbrechen diskret behandelt werden. Wer im Gefängnis sitzt, kann schwer zurückzahlen.

Wirtschaftskriminalität macht vor keiner Branche halt. Besonders oft seien jedoch der Elektronik-, der Lebensmittel- und der Finanzdienstleistungssektor betroffen. KPMG definiert Wirtschaftskriminalität als Straftaten, die sich im Wirtschaftsleben unter Missbrauch des Vertrauensprinzips ereignen. Meist werde es den Ganoven (in den eigenen Reihen) leicht gemacht. In den Firmen gebe es zu wenig Vorkehrungen. So meinen zwar 57 Prozent der befragten Unternehmer, dass Wirtschaftskriminalität ein großes Problem darstellt. Nur fünf Prozent denken, dass Wirtschaftskriminalität ein Problem für ihr Unternehmen ist.

Immerhin ordneten laut Umfrage 62 Prozent der Firmen nach Auffliegen eines Falles eine Sonderprüfung an. Für Humer erschreckend: "Das heißt, dass 38 Prozent nicht einmal dann prüfen, wenn schon etwas passiert ist."

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