Der andere Blick: Mensch ohne Welt, Philosophieren aus der Fremde

Günther Anders wäre heuer hundert Jahre alt geworden. Ein internationales Symposion in Wien begab sich auf die Suche nach den Ursprüngen und der Aktualität seiner Philosophie.

Er hat wie wenig andere seine Zeit in Gedanken gefaßt, den Menschen einen Spiegel vorgehalten: Vielleicht ist der österreichische Philosoph Günther Anders deshalb auf soviel Ablehnung und Unverständnis gestoßen. Nicht nur in seiner Technikphilosophie und Medienkritik hat er Bahnbrechendes geleistet; viele später prominent gewordene Gedanken und Formulierungen wurden von ihm vorweggenommen oder angeregt: Jean-Paul Sartres Freiheitspostulat etwa oder Arnold Gehlens "Mängelwesen".

Unter dem Titel "Urlaub vom Nichts" versammelte sich eine internationale Schar an Wissenschaftlern zu einem dreitägigen Symposion in Wien, das am Samstag mit einer Lesung zu Ende ging - veranstaltet vom Günther-Anders-Forum in Zusammenarbeit mit ORF, Uni Wien, den Wiener Vorlesungen, und dem C. H. Beck-Verlag.

"Anders' Denken ist von seinem Leben nicht zu trennen", sagte der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann: "Er führte ein unstetes Leben, hielt es nirgends lange aus." Die Erfahrung der Fremdheit sei für den Schüler von Edmund Husserl und Martin Heidegger, in vielem dem Denken der Kritischen Theorie nahestehend, dennoch keiner Schule zuzuordnen, grundlegend geworden. Im amerikanischen Exil etwa habe er "einen Blick entwickelt für das Phänomen des Technischen an sich". Eine Reihe von "odd jobs", vom Fabriksarbeiter bis zum Abstauber in einer Requisitenkammer von Hollywood, brachten ihm Einsichten, die in der späteren Zivilisations- und Kulturkritik Eingang fanden.

Mit Anders' "Philosophie des Monströsen", von Auschwitz und Hiroshima, der These vom "prometheischen Gefälle" zwischen Herstellen und Vorstellen befaßten sich die Soziologin Gabriele Althaus und der Psychologe Ernst Schraube. Anders habe in seiner "unnachahmlichen Form des Philosophierens" eine Methode der "Verfremdung" angewendet, die nicht zufällig sei, so Althaus: "eine Umkehrung von Subjekt und Objekt, von Mensch und Maschine, Technik und Gesellschaft."

Schraube monierte allerdings eine einseitige Beleuchtung objektiver Strukturen, einen "ontologischen Determinismus" in Anders' Denken. "Die Subjektdimension bleibt unausgefüllt", so Schraube. Dabei gehe es Anders gerade um die Rettung der subjektiven Freiheits- und Handlungsmöglichkeiten.

Althaus und der Soziologe Eckhard Wittulski widersprachen: Bei Anders sei der Widerspruch zwischen theoretischem Nihilismus und praktischem Optimismus Programm und nicht zu überwinden. - Die praktisch-publizistische Tätigkeit, insbesondere gegen die Atomgefahr, die ihn wohl am meisten bekannt gemacht hat, entfaltete Anders von Wien aus, wo er sich nach dem Zweiten Weltkrieg niedergelassen hat. Sein Verhältnis zu Österreich und Wien sei "höchst ambivalent" gewesen, sagt Liessmann. "Er ist nach Österreich gegangen, weil er hier unbehelligt

"Das, was wir Globalisierung nennen, ist ein nihilistisches Phänomen."

Konrad Paul Liessmann
schreiben konnte." Die Ignoranz etwa der Wiener Universität habe ihn aber auch gekränkt. "Anders wird bis heute in keiner österreichischen Philosophiegeschichte erwähnt."

Kaum bekannt ist die frühe Philosophie, die Anders unter "Mensch ohne Welt" subsumierte: die Beschäftigung mit Literatur, Kunst, Musik, Anthropologie. "Anders frühe Anthropologie, seine These von der Weltfremdheit des Menschen ist höchst aktuell", so Liessmann. Hier habe er den Typus eines nihilistischen Menschen beschrieben, der unserer heutigen Existenzform entspreche. "Das was wir Globalisierung nennen, ist ein nihilistisches Phänomen."

Der feinsinnige Denker, der gerne Maler oder Musiker geworden wäre, schrieb auch einen Roman ("Die molussische Katakombe"), Texte wie "Lieben gestern" oder die Gutenachtgeschichte "Mariechen" - "das beste philosophische Lehrgedicht in deutscher Sprache", so der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler. Anders' Analysen über Kafka, Brecht, Alfred Döblin und Hermann Broch seien "singuläre Studien zu singulären Werken."

Auf die komische Seite der von Anders analysierten Kontingenz menschlicher Existenz verwies der Hamburger Sozialwissenschaftler Dirk Röpcke anhand der "Kosmologischen Humoreske". "In der Belletristik zeigt Anders einen ausgeprägten Humor." Anders radikale Philosophie sei so stets von einem großen Lachen durchströmt.

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