Wie Gorbatschow Mitteleuropa wärmte

Aerosole beeinflussen das Klima global ebenso stark wie Treibhausgase und regional sogar stärker.

Seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ist es in Mitteleuropa wärmer geworden. Das verschafft dem letzten Präsidenten und Liquidator der Sowjetunion nun einen Platz auch in der Terminologie der Klimaforscher: Der "Gorbatschow-Effekt" steckt hinter diesem Klimawandel. "Nach 1989 sind die Wolken über Mitteleuropa, vom Weltraum aus gesehen, dunkler geworden", erklärt Hartmut Grassl (Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg): "Deshalb reflektieren sie nicht mehr soviel Sonnenlicht wie früher in den Weltraum zurück, sondern lassen vermehrt Strahlung zum Boden durch."

Daß die Wolken dunkler geworden sind, liegt - scheinbar paradox - daran, daß die Luft reiner geworden ist, weil mit dem Realsozialismus auch seine Dreckschleudern zusammengebrochen sind, die vor allem im "Schwarzen Dreieck" - DDR, Polen, Tschechien - aus ihren Schloten Unmengen von Aerosolen in die Luft geblasen hatten. Das sind winzige Schwebteilchen oder ihre Vorläufer - das Gas Schwefeldioxid etwa, das (nach Oxidation) in der Atmosphäre Schwefelsäure-Tröpfchen bildet -, die unter anderem bei der Wolkenbildung mitspielen: Sie bilden Kristallisationskerne für die Wassertröpfchen.

"Je mehr Tröpfchen pro Kubikmeter eine Wolke enthält, desto heller ist sie", erklärt Grassls Mitarbeiter Andreas Chlond, "deshalb sind Wolken in verschmutzten Regionen heller." Sind sie heller, reflektieren sie mehr Strahlung und kühlen die Erde, arbeiten der Erwärmung durch die Treibhausgase entgegen. Sind sie dunkler, bringen sie zusätzliche Wärme, die Gruppe um Grassl hat es nun erstmals gezeigt: Sie hat die Schwefeldioxid-Emissionen mit der Reflexionskraft ("Albedo") der Wolken verglichen.

Reinere Luft, wärmere Luft

Erstere fielen in Europa von 1988 bis 1998 um die Hälfte, letztere ist im selben Zeitraum um 2,8 Prozent gesunken, was zusätzliche Strahlung von 1,5 Watt pro Quadratmeter (W/m2) in der Atmosphäre hält. (Geophysical Research Letters, 29, S. 31). Das klingt eher bescheiden - insgesamt kommen mit dem Sonnenlicht 337 W/m2 -, liegt aber in der derzeitigen Größenordnung des Treibhauseffekts von 1,6 W/m2.

Damit sind die lange vernachlässigten Aerosole Spieler im Klimageschehen, die den Treibhausgasen um nichts nachstehen. Sie sind nur viel komplizierter. Treibhausgase wie CO2 sind weltweit und lange in der Atmosphäre und tun überall dasselbe. Sie lassen Strahlung von der Sonne herein, aber von der Erde reflektierte, anderswellige Strahlung nicht wieder hinaus: Sie wärmen.

Dunstschleier über Asien

Aerosole hingegen trüben die Luft kurz und regional auf komplexen Wegen, die sich in Summe als Abkühlung auswirken. "Global mag die kühlende Wirkung der Aerosole mit der Erwärmung durch die Treibhausgase durchaus vergleichbar sein", bilanzieren Paul Crutzen und V. Ramanathan in Science (294, S. 2119). Und regional können sie die Erwärmung überkompensieren. Zunächst legen sie sich als kilometerdicke Dunstschleier über das Land, etwa von Südindien bis Nordostchina, wo der "Asian haze" dafür sorgt, daß die Temperaturen auf der Erdoberfläche sinken und die Niederschläge zurückgehen. Aber die Aerosole fangen die hereinkommende Strahlung nicht nur direkt ab - als Dunst -, sie haben auch indirekte Wirkungen, etwa die, daß die Wolken nicht abregnen: Brennen die Wälder in Indonesien, geraten so viele Aerosole in die Luft, daß es zu viele Kristallisationskerne gibt. Dann sind die Tröpfchen in den Wolken so klein, daß sie nicht zu Regentropfen werden können. Das verstärkt die Trockenheit, woraufhin die Waldbrände noch heller lodern, wodurch noch mehr Aerosole in die Luft geraten, und so weiter.

Zugleich schatten neben dem Dunst auch die Wolken ab: Crutzen und Ramanathan errechnen in einer Studie den Gesamteffekt der Kühlung mit 14 W/m2 - fast zehnmal soviel wie die gegenläufige globale Erwärmung um 1,6 W/m2 - und fürchten Ernteverluste - geringere Strahlung, weniger Photosynthese - beim Reis um bis zu zehn Prozent ("The Asian Brown Cloud": www.rrcap.unep.org).

Und das ist immer noch nicht alles. Nur auf der Erdoberfläche wird es kühler, im Dunst und in den Wolken kann es wärmer werden, je nach Zusammensetzung der Aerosole: Schwefel ist hell und reflektiert Strahlung, Ruß ("black carbon") absorbiert sie und wärmt sich dadurch auf. Asien produziert viel Ruß, deshalb wird es oben warm, was die gesamte Zirkulation durcheinander bringt und die Niederschlagsverhältnisse großräumig ändert. "Der Wasserkreislauf ist gefährdet", warnen Crutzen und Ramanathan: Große Teile Ostasiens müssen mit bis zu 40 Prozent weniger Niederschlag rechnen, andere mit Überflutungen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.