Der kurze Sommer der "Cultural studies"

Roman Horak, Österreichs Ahnherr des gescheiterten Projekts der Wiederbelebung der Sozialwissenschaften, zieht wehmütige Bilanz.

Wenn Roman Horak, geborener Rapid-Anhänger und gelernter Sozialwissenschaftler, sein Wochenendritual zelebriert und ins Stadion geht, dann wird ihm weh ums Herz, nicht (nur) wegen des Spiels, sondern wegen seiner Kulisse: Wo früher einmal "vereinstreue Rowdys" aufeinander einschrien und gelegentlich auch -prügelten, und wo sie später nur noch prügelten ("erlebnishungrige Hooligans") und auch damit noch, wie entlegen auch immer, Eigenständigkeit reklamierten, da werden heute die Rituale der Fans von den Vereinen so durchchoreographiert, daß es "eher an eine Kontrollgesellschaft erinnert".

Die Trauer um den verlorenen Fußballfan - sie findet sich in Horaks gerade erschienener Summa "Die Praxis der Cultural Studies" - ist eine doppelte: Der Fan war die Figur, mit dessen Hilfe Horak in den achtziger Jahren die guten alten Sozialwissenschaften, die sich in gerontomarxistischem Dogmatismus und postmoderner Beliebigkeit verloren hatten, wiederbeleben wollte: Durch das schlichte genaue Hinsehen darauf, wie Menschen mit den alltäglichen Zwängen fertig werden, wie sie darauf antworten, sich arrangieren, rebellieren, im politischem Handeln sowohl wie in den Ausdrucksformen, im Lebensstil.

"Ich muß zugegeben, daß mir die Betonung des ,besonderen Blicks' immer noch sehr das Herz wärmt."

Ganz so schlicht ist dieser Blick natürlich nicht, Horak ist kein Fliegenbeinzähler, sein Blick will "der besondere Blick" sein, der mit dem Objekt der Forschung sympathisiert, ohne sich von ihm dumm oder zum Kumpanen machen zu lassen: Er suchte vor allem das Querstehende, Aufmüpfige - pathetisch: das potentiell Widerständige - und reihte sich damit ein in die Tradition kritischer, emanzipatorischer Theorie. Neu war der Name, dessen exotischer Klang das Unternehmen erst förderte und ihm später zum Verhängnis werden, es zu Tode wachsen lassen sollte: "Cultural Studies".

Die waren in den fünfziger Jahren in England entwickelt worden und kümmerten sich ganz breit um die "Klärung der Bedeutungen und Werte, die sich in bestimmten Lebensweisen ausdrücken", und noch breiter: um das "Verhältnis von Macht und Kultur". Die luftige Definition hatte den Vorteil der Offenheit, die von der Forschungspraxis der britischen Väter in Grenzen gehalten wurde: Sie interessierten sich für die Lebensstile von Jugendlichen, vor allem proletarischen Jugendlichen, und von dort war der Weg zum Fußballfan nicht weit.

Small wonder, daß Horak bei seinem Theorieimport dort anknüpfte und sich rasch als Österreichs "Fußballforscher" einen ihm selbst eher mißliebigen, weil domestizierten Namen machte: Etwas angejahrte, aber verfallsdatenfreie Analysen der britischen, deutschen und österreichischen Fußball- und Fantraditionen runden den Sammelband ab. In der Hauptsache aber dokumentiert er bittere Rückzugsgefechte eines aus äußeren und inneren Gründen vorläufig gescheiterten Projekts.

Ganz äußerlich lockte der an allen Flanken offene Name all jene an, gegen die die "Cultural Studies" angetreten waren: den akademischen mainstream, der plötzlich allerorten "Kulturstudien" betrieb und sich unter dem breiten Dach der "Kulturwissenschaften" häuslich niederließ. Da paßte alles und jedes hinein, die literaturwissenschaftliche Exegese von Texten der Popmusik wie die medientheoretische Deutung der Zeichen: der Kleider und Accessoires jener, die die Musik hörten.

"Die alte Frage - , what is cultural studies anyway?' - scheint heute schwerer denn je zu beantworten."

Beides war das zweite zentrale Forschungsgebiet der frühen "Cultural Studies", aber sie hatten es anders gemeint, wollten die Ausdrucksformen der Musiker und ihrer Fans aus ihren sozialen Kontexten verstehen und vice versa. Nun sahen sie ihre "Culture" weg- und verschwimmen in eine/r "Kultur", deren "Wissenschaft" im einen Extrem in die Nähe der Markt- und Trendforschung rückte und sie mit Schalmeien überbaute, die im Spiel mit Versatzstücken aus dem Konsumparadies die große Freiheit anbrechen sah. Nackten Konsumterror der Kulturindustrie sah hingegen die auch noch lebendige Altlinke.

Horak suchte Zuflucht vor der wenig Erkenntnis verheißenden Alternative in der Tiefe, im noch exakteren Hinsehen, etwa auf Madonna und die Sex Pistols und beider Publikum. Aber dort geriet er in ein immanentes Problem der "Cultural Studies", das der innigen Verbindung mit und der engen Abhängigkeit von ihrem Gegenstand: Der Fußballfan war behäbig, die Popkultur hingegen wandelt sich immer rascher, sie ist höchst flüchtig und entzieht sich jeder Forschung, die mehr will als archivieren. Horak hetzt trotzdem hinterher, er will dem inhaltlichen Wandel mit formalem Wandel gerecht werden, mit der Technik der Montage. Das alllerdings ist ein hoffnungsloses Unterfangen: Bis der Aufsatz gedruckt ist, ist Madonna entweder nicht mehr am Markt oder eine ganz andere Madonna.

So ist der eine Gegenstand verstorben und der andere enteilt, neue wollen sich kaum zeigen. Und wo sie sich zeigen - Horak erinnert daran, daß die britischen "Cultural Studies" etwa auch herausfinden wollten, warum just jene Thatcher wählten, die unter ihrer Politik litten -, zeigen sie auch das Grundproblem: Wenn auch das Wahlverhalten unter "Culture" firmiert, verliert der überdehnte Begriff jeden Gehalt. So "scheint" auch für Horak "die alte Frage - ,what is cultural studies anyway?' - heute schwerer denn je zu beantworten."

Roman Horak
Die Praxis der Cultural Studies
242 S., Â 22 (Löcker Verlag)

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