Gesucht: Der Stein der Stammzell-Weisen

Oliver Brüstle, der Vorkämpfer der Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland, zu Stand und Perspektiven.

"Noch vor Weihnachten" hofft Oliver Brüstle, Neuropathologe der Universität Bonn, das Forschungsfeld beackern zu können, für dessen Öffnung in Deutschland er seit zwei Jahren wie der legendäre Winkelried in den Schweizer Bauernkriegen alle Gegner auf sich zog: das der embryonalen Stammzellen des Menschen. Im August 2000 hatte Brüstle ein Projekt eingereicht, die öffentliche Debatte darüber - die Zellen sind das Hoffnungsgebiet der Medizin, aber zu ihrer Gewinnung müssen Embryonen zerstört werden -, kochte bis hinauf zum Bundestag, der im Sommer die Forschung in begrenztem Rahmen und an importierten Zellen freigab.

Nun steht noch die letzte Genehmigung aus. "Wir brennen darauf, die Ergebnisse unserer Forschungen an Mäusezellen an Zellen von Menschen überprüfen zu können", erklärte der Forscher bei einem Besuch des Wiener Instituts für Molekulare Pathologie (IMP), an dem mit Mäusezellen experimentiert wird. An Mäusen hat Brüstle selbst mit solchen Zellen eine Krankheit des Zentralnervensystems - ein Defizit an Myelin, das Nerven isoliert - therapieren können.

Stammzelltherapien sind an Mäusen schon schwer genug, weil embryonale Stammzellen - das sind noch unspezialisierte "pluripotente Zellen", die sich in verschiedenste Zellen ausdifferenzieren können - sich in die richtige Richtung ausdifferenzieren müssen und im Gehirn wirklich jene Zellen werden müssen (Oligodendrozyten), deren fetthaltige Membran (Myolin) sich als Isolator um Nervenleitbahnen legt. Zweitens stehen die Zellen in Gefahr, sich zu Tumorzellen auszuwachsen. Und drittens müssen die Zellen in ihren Zielgeweben auch funktionieren, nicht einfach Oligodendrozyten werden, sondern mit ihrem Myolin auch isolieren.

"Diese drei Punkte müssen an menschlichen Zellen systematisch abgearbeitet werden", erklärt Brüstle, "und zwar in Tierversuchen. Man kann ja nicht vom Reagenzglas direkt an Patienten gehen." Deshalb nimmt man den Umweg über Mäuse, denen menschliche Zellen implantiert werden, um ihre Entwicklung zu beobachten. Mancherorts weckt dieses Verfahren die Sorge, eine Maus mit menschlichen Zellen im Gehirn könne plötzlich zu denken beginnen. "Das ist weit hergeholt, man ist weit davon entfernt, Veränderungen im Gehirn auszulösen, die Einfluß auf höhere kognitive Funktionen haben", beruhigt der Forscher, der aber "für die Zukunft nichts völlig ausschließen möchte. Dieses Gebiet fordert besondere Verantwortlichkeit von uns Wissenschaftlern."

Und das nicht nur beim Einsatz von Stammzellen, sondern auch bei ihrer Gewinnung. Um das ethische Dilemma der Embryonenzerstörung zu umgehen, will etwa Ian Wilmut, einer der Väter des Klonschafs "Dolly", die Zellen nicht aus befruchteten Eizellen gewinnen, sondern aus Eizellen, die zu unbefruchteter Entwicklung

"Ich träume davon, langfristig den Spieß umzudrehen: Statt Zellkerne in Eizellen zu implantieren, wollen wir jene Faktoren, die in der Eizelle wirksam sind, in erwachsene Zellen einbringen."

angeregt werden: Parthenogenese. "An Tieren hat man das schon versucht und auch therapierelevante Zellen gewonnen, aber ob das langfristig ein gangbarer Weg ist, läßt sich noch nicht beurteilen", erklärt Brüstle, der selbst langfristig ganz andere Visionen hat: Die Analyse der embryonalen Stammzellen soll ihren therapeutischen Einsatz überflüssig machen und auch das ethisch noch heiklere Problem des "therapeutischen Klonens" umgehen. - Bisher "zieht" man embryonale Stammzellen aus Embryonen, die für Retortenbabies erzeugt, aber nicht genutzt werden. Zur Laboranalyse der Zellen reicht das. Will man sie aber als Transplantate nutzen, dürfen sie vom Immunsystem nicht abgestoßen werden, sollten deshalb die Gene des Empfängers tragen. Darauf zielt das "therapeutische Klonen": Man will Zellkerne ausgewachsener Zellen - etwa eine Hautzelle der späteren Transplantatempfänger - in entkernte Eizellen bringen.

Irgendetwas in den Eizellen "verjüngt" die spezialisierten ausgewachsenen Zellen zu pluripotenten Zellen, die dann wieder zu verschiedensten Zelltypen heranreifen können: So könnte man aus der Hautzelle Herzzellen gewinnen.

Wenn man nur das Geheimnis der Eizellen finden würde: Ihr Irgendetwas ist der Stein der Stammzellweisen. "Viele, mich eingeschlossen, träumen davon, langfristig den Spieß umzudrehen: Statt Zellkerne in Eizellen zu implantieren, wollen wir jene Faktoren, die in der Eizelle wirksam sind, in erwachsene Zellen einbringen."

Und nur für die Übergangsperiode - zum Aufspüren der molekularen Mechanismen der Verjüngung und Ausreifung - braucht es die Stammzellen in Brüstles "Vision". Ob sie je Wirklichkeit wird, steht dahin.

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