Navy dröhnt ins Meer: "Bei 235 Dezibel, da zittern die Wände"

Anthropogener Höllenlärm in den Weltmeeren alarmiert Walforscher und läßt sie gegen die US-Navy und gegen Geographen vor Gericht ziehen.

Am 25. September strandeten Wale in Mexiko und an den Kanarischen Inseln. Daß es am selben Tag in den verschiedenen Weltregionen geschah, ist Zufall, die Ursache aber ist vermutlich in beiden Fällen dieselbe: menschgemachter Lärm im Meer, der die Wahrnehmung und/oder Orientierung der Tiere verwirrte. Vor den Kanarischen Inseln testete die US-Navy ein Sonar-System zur U-Boot-Ortung, vor der Küste Mexikos kartierten Geographen der National Science Foundation der USA mit drucklufterzeugten Schallwellen den Meeresboden (Science, 298, S. 722). Beide Fälle veranlaßten Walforscher, vor Gerichten die Einstellung der Experimente einzuklagen.

Damit eskaliert eine Auseinandersetzung, die Walforscher seit den neunziger Jahren an zwei Fronten führen: Einerseits geht es gegen neue Waffen des Militärs, andererseits gegen neue Analysetechniken unterschiedlichster Wissenschaften. Beide bringen unerhörte Töne in den Höllenlärm der Weltmeere, der sich allein von 1950 bis 1975 verdoppelt hat, durch Schiffahrt und Ölexploration. Seit Mitte der achtziger Jahre kamen drei neue Quellen dazu, zunächst eine zum Schutz der Meeressäuger: Mit regelrechten Lärmmaschinen - "Squeakers" - sollen Delphine von den Schleppnetzen der Fischerei vertrieben werden.

Das funktioniert, kleinräumig, und weckt um so größere Sorgen vor großräumiger Meeresbeschallung, etwa durch neue Ortungssysteme der US-Navy. Hatte sie früher den Standort feindlicher U-Boote mit "passiven Sonaren" einfach erlauschen können, sind heutige U-Boote so leise, daß es "aktive Sonare" braucht wie das milliardenteure Navy-System "Surtass", das bis zu 235 Dezibel ins Meer dröhnen und die Reflexion auswerten soll. "Im näheren Umkreis ist das tödlich für alle Wale", berichtet Günther Behrmann, Walexperte am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Wilhelmshaven, der hinter dem vorgeblichen Ortungssystem etwas ganz anderes sieht: "Bei 235 Dezibel - ein startender Düsenjet macht 120 -, da wackeln die Wände. Man will damit U-Boote so durchschütteln, daß die Besatzungen getötet werden."

Daß das auch Meeressäuger nicht überleben, konzediert die Navy - sie ist unter Druck der Walforscher, die um Gehör, Orientierung und Sozialverhalten ihrer Klientel fürchten, zum größten Sponsor der Walforschung aufgestiegen -, sie will sich in Friedenszeiten auf die Beschallung walarmer Regionen beschränken. Als solche gelten seit einem Beschluß der Administration Bush diesen August 75 Prozent aller Meere.

Die Frage ist allerdings, was mit jenen Walen geschieht, die nicht sofort getötet werden, sondern später stranden. Und diese Frage ist trotz aller Forschungen nicht geklärt: Werden Ohren und Gehirne durch den Lärm so verletzt ("Barotrauma"), daß die Tiere jede Orientierung verlieren? Weichen sie unter Lärmdruck von ihren alten Zugrouten ab und geraten in unbekanntes Gebiet? Werden ihre eigenen Gesänge übertönt, und verlieren sie deshalb den Kontakt zur Gruppe und den Jungen?

Meerestemperatur hören

Zudem kommt der Lärm von allen Seiten: Schall läßt sich nicht nur als Waffe verwenden, mit seiner Hilfe kann man auch die Temperatur des Meeres messen, Schallwellen eilen unterschiedlich rasch durch unterschiedlich warmes Wasser. Das wollten sich zu Beginn der neunziger Jahre Klimatologen zunutze machen und im Experiment "Atoc" (Acoustic Thermometry of Ocean Climate) Schallpulse 15.000 Kilometer quer durch den Pazifischen Ozean schießen.

Kleine Tests brachten höchst exakte Ergebnisse - auf Hundertstel Grad -, aber dann geriet auch Atoc, obwohl viel leiser als Surtass, ins Visier der Walforscher. Zwar bescheinigten umfangreiche Tests dem Projekt Unbedenklichkeit, es wurde trotzdem aufgegeben, aus finanziellen Gründen.

Aber viele andere Forscher nutzen Schall, zur Ortung von Leben im Meer oder eben zur Kartierung des Meeresbodens. Die vor Mexiko darf nicht weitergehen, ein Richter hat diesen Montag die Einstellung verfügt. Die Klage gegen die US-Navy ist noch nicht entschieden.

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