Für ein neues europäisches Gleichgewicht

Europa benötigt wieder eine stabile Mitte. Österreich wäre dafür prädestiniert.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Wien.

Während die Opposition auf der einen Seite Einfalt und Tiefe, auf der anderen Seite Sozialdemokratie und Nihilismus harmonisch zu verbinden weiß, bemüht sich der Bundeskanzler, Österreichs sicherheitspolitische Abseitsposition zu überwinden. Mag dieses Bemühen auch von zweifelhafter Rhetorik begleitet sein, hat er in der Sache recht und er wurde auch gleich darauf von US-Präsident George W. Bush empfangen und als verläßlicher Partner bezeichnet. Kaum zu glauben, daß ein anderer US-Präsident einst dem Kaiser von Österreich-Ungarn einmal den Krieg erklärt hat.

Das Fehlen einer gewachsenen mitteleuropäischen Ordnungsmacht im Donauraum nach 1918 ist letztlich auch eine Ursache dafür, daß die Balkankriege der neunziger Jahre so lange dauern konnten.

Wenn sich Österreich nach 1918 zunächst unfreiwillig von der Weltgeschichte verabschiedete und sich schon bald nach dem Abzug der sowjetischen Armee mit dem Trick der Neutralitätserklärung in sein immerwährend genanntes Schicksal fügte, so führt doch kein noch so pragmatisches Argument an der banalen Erkenntnis vorbei, daß ein Kontinent wie Europa nicht auf Dauer ohne sein geostrategisches Zentrum auskommen kann.

Wurde das Gleichgewicht in Europa nach 1945 durch den Kalten Krieg, also durch die USA und die Atombombe, garantiert, so war es nach 1989 zunehmend die deutsche Stabilität unter Helmut Kohl. Auch wenn in Deutschland die Jakobiner, die das deutsche Volk aus purer Langeweile zu Ministern gemacht hat, keine Jakobiner mehr sind, besorgen sie, sobald sie die europäische Konjunkturlokomotive von ihren eigenen Energiequellen abkoppeln, das Geschäft der arabischen Ölwelt. Im übrigen dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Theoretiker des Nullwachstums - an die Macht gelangt - ein solches auch bewirken.

Die dynamische Interpretation der Neutralitätspolitik führt nicht automatisch dazu, daß uns die ganze Welt liebt. Im Gegenteil: Sowohl die eigenwillige PLO-Politik, die Waldheim-Zeit als auch die Sanktions-Periode haben uns gezeigt, daß eine Isolationspolitik auch dazu führen kann, selbst isoliert zu werden. Wer die Isolation "splendid" nennt oder die Neutralitätspolitik "aktiv", verbrämt dabei nur rhetorisch. Wir scheinen mit gespaltener Zunge zu sprechen, wenn wir das Gegensatzpaar Neutralität und Solidarität unter einen Hut bringen wollen. Mit einer solchen Sowohl-als-auch-Politik kann man ein Nachwort zu Machiavellis Immoralismus der Machtpolitik schreiben.

Neutralität dient im wesentlichen nur als kleinmütige und ausredende Erklärung, um sich in der internationalen Politik die Hände nicht schmutzig machen zu müssen. Tatsächlich machen wir uns aber dann, wenn wir den Kampf gegen das Böse nicht unterstützen, nur mitschuldig. Zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch darf es nie eine Mittelposition geben. Wer moralische Bedenken vorgibt, das Schlechte zu bekämpfen, wird letztlich mitverantwortlich, wenn dieses die Oberhand behält.

Die große Mehrheit der Österreicher weiß genau, auf welcher Seite der Geschichte wir zu stehen und auch zu handeln haben. Diesem Verständnis auch die völkerrechtliche Form zu geben, ist eine Frage der Anständigkeit. Nachdem sich am 11. September die Leninsche Erkenntnis, daß auch Quantität eine Qualität an sich sein kann, in tragischer Weise bestätigt hat, ist es Zeit für eine sicherheitspolitische Neuorientierung Österreichs, die auch zu einem gefestigten Gleichgewicht in Europa führen kann.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.