Temel­n-Taktik: "Mit Druck erreicht man keine Beweglichkeit"

Die Vetodrohungen der FPÖ sind deutlich leiser geworden, ein Vier-Parteien-Konsens scheint möglich. Aber noch lauern viele Fußangeln.

Für den eben erst designierten FP-Generalsekretär Karl Schweitzer war der gestrige Montag alles andere als einfach. Noch nicht einmal in Amt und Würden, wurde Schweitzer bereits mit schwierigen Fragen bezüglich der Haltung der FPÖ in Sachen Temelín überhäuft. Der Burgenländer reagierte mit entwaffnender Ehrlichkeit: Er wolle sich in dieser Frage "jetzt nicht festlegen".

Tatsächlich scheint eine solche Festlegung zur Zeit nicht möglich zu sein. Noch in der Vorwoche hatte Parteiobfrau Susanne Riess-Passer kämpferisch versichert, sie werde nicht nur das Veto-gegen-Temelín-Volksbegehren der Freiheitlichen "selbstverständlich" unterschreiben, sondern sie werde auch diejenige sein, die im Ministerrat letztlich im Ernstfall das Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt einlegt. Doch nach einem vertraulichen Treffen der Regierungsspitze klang alles plötzlich ganz anders: Das Veto sei "keine Bestemm-Frage", sondern immer nur als letzter Ausweg im Talon gewesen. "Ich sehe noch eine Menge Bewegungsspielräume", sagt der heimliche Schlagmann in dieser Causa, Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider (FP), zur "Presse".

Vor dem Hintergrund der unmißverständlichen Äußerung von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, wonach aus Sicht der Kommission die Sicherheitsbedenken zu Temelín ausgeräumt seien und der "Melker Prozeß" (bilaterale Verhandlungen zwischen Wien und Prag unter Vermittlung der EU-Kommission) daher abschlußreif sei, sind nun die Karten neu gemischt. Haider meint zwar, daß sich Verheugen "unbedeutender Aussagen enthalten" solle und poltert, daß man "bei mir mit Druck sicher keine Beweglichkeit erreicht". Aber immerhin: Ein Ausstiegs-Szenario, bei dem Temelín zumindest mittelfristig in Betrieb bleibt, ist für Haider - bei Erfüllung aller Sicherheitsauflagen - zumindest eine "Möglichkeit". Dies wird in der ÖVP als Hoffnungszeichen interpretiert. Denn so sehr die Haltungen der Parteien zu Temelín zuletzt auseinandergingen, in der Fehleranalyse ist man sich einig: Österreichs Haltung kranke daran, daß man intern zerstritten sei und nach außen mit gespaltener Zunge spreche.

Der heikelste Part kommt jetzt der ÖVP zu, die aus der neuen Konstellation ein brauch- und vor allem haltbares Resultat machen muß. Denn der Druck aus Prag und aus Brüssel nimmt zu, das Energiekapitel in den Beitrittsverhandlungen mit Tschechien möglichst noch heuer zu schließen. VP-Umweltminister Wilhelm Molterer ist derlei Vorstöße freilich gewöhnt: Schon im Frühjahr machte Tschechien Zeitdruck, indem von einem angeblichen Treffen zwischen Verheugen, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und dem tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman im Oktober die Rede war - ein Treffen, von dem man in Wien nichts wußte. Auch diesmal weicht Molterer weiträumig aus: Der Melker Prozeß sei noch nicht abgeschlossen, der Fahrplan richte sich nicht nach Terminzwängen, sondern ausschließlich nach "Fortschritten in der Sache".

Annäherungen

Das ist aber nur die offizielle Version. Tatsache ist, daß sich die beiden Seiten im Zuge der Expertenverhandlungen in den letzten Wochen ziemlich nahe gekommen sind. Die heimischen "Sicherheitsbedenken" betreffen zahlreiche technische Fragen, etwa die eingesetzten Ventile, die Versprödung des Reaktorkessels oder die Beschaffenheit jener Bühne, auf der der Reaktor im tschechischen Atomkraftwerk steht. Diese Punkte werden im wesentlichen als bewältigbar eingestuft, auch die Umweltverträglichkeitsprüfung für das AKW gilt als so gut wie abgeschlossen.

Mehr Sprengstoff bergen die formalen Fragen. Es geht darum, in welcher Form am Ende des "Melker Prozesses" eine Vereinbarung geschlossen wird. Österreich drängt auf eine verbindliche, also rechtsgültige und einklagbare Vereinbarung. Tschechien dagegen hält dies für "zu kompliziert" und steht auf dem Standpunkt, daß dem Nachbarn das gegebene Wort genügen müsse. "Die Verhandlungen spießen sich zu zwei Dritteln an diesen Formfragen", meint ein Beteiligter.

Formal kämen ein Staatsvertrag, eine Anmerkung im Energiekapitel mit Tschechien oder eine privatrechtliche Vereinbarung in Betracht, die freilich auch alle Rechtsnachfolger der Temelín-Betreiberfirma CEZ binden müßte. Letzteres lehnt Prag ab, da es im Ergebnis eine Wertminderung für das Kraftwerk bedeutete. Ein Staatsvertrag dürfte unter Zeman, der unter Einfluß des "Hardliners" und Industrieministers Miroslav Grégr steht, ebenfalls schwer zu bekommen sein. Österreich werde sich aber "schwertun, ohne rechtsförmliche Vereinbarung den Melker Prozeß abzuschließen", heißt es aus der ÖVP.

Poker um die Fristen

Taktischen Spielraum eröffnet allenfalls der Fristenlauf: In Tschechien wird im kommenden Frühsommer gewählt. Manche, wie etwa Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, setzen auf Zeit und erhoffen sich von der nächsten tschechischen Regierung mehr Verständnis für Österreich. Deshalb will Van der Bellen das Energiekapitel jedenfalls bis nach der tschechischen Wahl offenhalten. Kolportiert werden Hinweise, wonach es speziell unter den tschechischen Sozialdemokraten eine wachsende Zahl von Temelín-Skeptikern gebe, die sich aber aus wahltaktischen Gründen derzeit zurückhielten. Umgekehrt setzt Molterer eher auf ein rasches Ende der Verhandlungen: Die Causa Temelín dürfe nicht zum tschechischen Wahlkampfthema werden, da bei Wahlen mit Sicherheit die "Hardliner" gestärkt würden.

Eine heikle Frage ist die Terminisierung des Anti-Temelín-Volksbegehrens der FPÖ. Innenminister Ernst Strasser (VP) muß noch in dieser Woche entscheiden, wann die Eintragungsfrist angesetzt wird. Termine von Ende Dezember bis Mitte April sind möglich. Strasser wird sich entweder für Ende Jänner oder Mitte März entscheiden - jedenfalls soll aber schon vorher eine Einigung mit Tschechien auf dem Tisch liegen, die alle vier Parlamentsparteien mittragen. Das wünscht sich auch Haider, der eine "nationale Einheitsfront schmieden" will. Das FP-Begehren komme "zum günstigsten Zeitpunkt, weil bis dahin schon die tschechische Haltung klar sein wird".

Die Grünen schlagen ein Treffen aller vier Parteichefs vor. Die SPÖ will eine neue Variante einer Exit-Strategie einbringen. Klubobmann Josef Cap will in allen EU-Beitrittsverträgen eine Ausstiegsklausel für die Atomkraft vorsehen. Gleichzeitig soll das Thema von der Bundesregierung in die nächste EU-Reformdebatte eingebracht werden. Cap betonte: "Wir wollen kein Veto gegen den Beitritt von Tschechien." Doch könne er nicht ausschließen, daß es zu "Verzögerungen" komme.

In Brüssel reagiert man mittlerweile äußerst reizbar auf die österreichischen Probleme rund um Temelín. Das Verständnis für Österreichs Atomängste ist erschöpft. Auch die mediale Verwertung wird kritisiert. So wurde in EU-Kreisen nach dem Treffen zwischen SP-Chef Alfred Gusenbauer und Kommissar Verheugen letzten Freitag in Brüssel kolportiert, daß nur ein Teil des Gesprächs für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen war. Gusenbauer hatte aber Journalisten davon in Kenntnis gesetzt. Was die Verschwiegenheit österreichischer Politiker angehe, wundere man sich aber ohnehin über gar nichts mehr, lautete dazu der verärgerte Kommentar eines EU-Insiders. Anders sieht den Fall die SPÖ: "Die Geheimhaltung war kein Thema." Gusenbauer verlangt von Schüssel die Veröffentlichung des Verheugen-Briefes - und droht widrigenfalls mit "parlamentarischen Schritten".


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