Euro 2008: Volle Stadien, leere Hotels?

TOURISMUS. Spekulationen der Hoteliers und fern bleibende Kulturtouristen könnten Wiener Tourismus schädigen.

Wien. Die Fußball-Europameisterschaft 2008 wird ein gigantisches Geschäft. Heißt es. Insbesondere der Fremdenverkehr habe mit einem wahren Geldregen zu rechnen. Und die meisten (positiven) Prophezeiungen werden vermutlich auch eintreten. Aber eben nicht alle. Wie „Die Presse“ aus Branchenkreisen erfährt, könnte die Großveranstaltung im nächsten Jahr wider Erwarten vor allem den Wiener Tourismus hart treffen und zu deutlichen Rückgängen bei den Nächtigungen führen.

Schuld daran sind die überzogenen Erwartungen der Beherbergungsbetriebe, die bereits jetzt darauf spekulieren, ihre Zimmer kurz vor Beginn der Wettkämpfe zu überzogenen Preisen an Fußballfans verkaufen zu können. Und: Auch Geschäfts- und Kulturreisende werden Wien zu dieser Zeit voraussichtlich meiden. „Alle tun so, als würde die Hotellerie das Geschäft ihres Lebens machen. Aber so wird es nicht kommen“, sagt Michaela Reitterer, Vorsitzende der Wiener Hoteliervereinigung. Es bestünde sogar die Gefahr, dass während der Wettkämpfe (7. bis 29. Juni 2008) die Zahl der Nächtigungen zurückgeht. Wie dies? Reitterer: „Ich kenne genügend Hoteliers, die schon jetzt auf ihren Zimmern sitzen und hoffen, diese im nächsten Jahr zu überhöhten Preisen verkaufen zu können.“

Deutschland: Minus wegen WM

Bereits die Eishockey-WM 2005 habe gezeigt, dass viele Betriebe mit dieser Praxis entweder auf ihren Zimmern sitzen blieben, oder sie im letzten Moment zu Dumping-Preisen auf den Markt werfen mussten. Zu welch dramatischen Schäden so eine Vorgehensweise führen kann, zeigte 2006 das gleiche Verhalten der Hoteliers während der Fußball-WM in Deutschland. Berlin verlor im Vergleich zu 2005 11,1 Prozent seiner Nächtigungen, München sogar 14,3 Prozent.

Trotzdem versteht der Wiener Tourismus die Euro als einmalige Chance. Reitterer: „Auch wenn wir kurzfristig nichts davon haben, ist langfristig allein durch die damit verbundene Bewerbung der Reisedestination Wien mit nachhaltigen Zuwächsen zu rechnen.“

Eine Hoffnung, die sich belegen lässt. Roland Bässler, Professor für Tourismusmanagement an der FH Krems, hat dazu die Effekte der alpinen Ski-WM 2001 in St. Anton am Arlberg untersucht. Ergebnis: Während der Nachbarort Lech, der damals bewusst nicht kooperierte, bei den Nächtigungen nach wie vor stagniert, hat St. Anton seitdem um satte 11,6 Prozent zugelegt – obwohl auch dort der WM-Winter kurzfristig zu deutlichen Rückgängen führte.

Kulturreisende bleiben aus

Bässler nennt noch einen weiteren Grund, warum Wien für die Zeit der Euro mit sinkenden Nächtigungszahlen zu rechnen hat. „Die Wiener Hotels sind während dieser Zeit ohnedies ausgebucht. Viele Geschäfts-, vor allem aber Kulturreisende werden die Hauptstadt 2008 bewusst meiden, weil sie mit Fußball nichts zu tun haben wollen.“ Seiner Meinung nach könnte dieses Phänomen Salzburg übrigens noch härter treffen als Wien.

Um die Einbußen im Rahmen zu halten, hat Wien Tourismus sämtliche Beherbergungsbetriebe dazu aufgefordert, das Geschäftsjahr 2008 nicht ausschließlich auf die Fußball-Europameisterschaft auszurichten. Weiters warnt der interimistische Tourismusdirektor Wolfgang Kraus die Betriebe auch vor Reiseveranstaltern, die schon jetzt und auf Verdacht große Betten-Kontingente reservieren. „Die Erfahrung zeigt, dass viele davon kurz vor Beginn einer solchen Großveranstaltung wieder frei werden.“

Übrigens: Größter Kunde der Wiener Hotels ist der Europäische Fußballverband (Uefa) selbst. Mit heutigem Tag sind 17 Prozent aller Betten für Funktionäre, Mannschaften und Journalisten reserviert.

Inline Flex[Faktbox] IN ZAHLEN("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2007)

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