Viennafair: Koje mit Floß mit Loch

Die Skulptur steht heuer bei der Wiener Kunstmesse im Zentrum.

Mann mit Schüssel auf dem Kopf und Dickmacher-Plastikkissen unter dem Pulli. Mann mit Pingpongschläger-Etui vor dem Gesicht. Mann mit Kopf unter dem Kübel. Das schmeckt wie Wurm, riecht wie Wurm, sieht aus wie Wurm. Es ist aber nicht Erwin Wurm.

Der Hamburger Thorsten Brinkmann, Jahrgang 1971, hat einen Stapel Fotografien an die Viennafair geschickt, der bei jedem halbwegs geschulten Gast ein solches Déjà-Vu-Erlebnis auslösen muss. Vielleicht ist's aber auch ein Test. Ein Kunsttest, um Differenzen aufzuspüren, über Posen und Porträts nachzudenken. Und Malerei und Bildhauerei. Da fängt das Rätsel an, sich aufzulösen. Denn eigentlich kann man die ganze Wand, die der Künstler auf ihrer Länge von gut 15 Metern mit Teppichen und Spanplatten vom Sperrmüll zugetackert hat, worauf dann die Fotografien hängen, auch als anspielungsreiches Bild lesen, als Malereizitat, das zufälligerweise auch ein paar Versatzstücke aus der Bildhauerei verwendet.

Förderkojen-System für junge Künstler

Brinkmann ist einer von 15 Künstlern der „Zone 1“: ein Förderkojensystem für Einzelpräsentationen, das die Viennafair erstmals etabliert hat, ähnlich dem „Open Space“ an der Kölner Messe oder den „Statements“ der Art Basel. Im Zentrum der Halle, längs zu den Verkaufsstraßen ausgerichtet, ist sie auch ein cleveres Mittel zur Untergliederung. Zugleich ist sie vor allem für die durchwegs jungen, kaum bekannten Künstler eine Gelegenheit, sich mit monografischen Installationen etwaigen Sammlern zu empfehlen.

Brinkmanns Fotografien werden von seiner Galerie artfinder größenabhängig mit 900 bis 3800 Euro ausgepreist und liegen damit im guten Mittelfeld. Starke Konkurrenz erwächst ihm aus der Nachbarschaft, wo der junge Londoner Galerist Hidde van Seggelen mit dem 25-jährigen Andy Holden ein Versprechen für die Zukunft vorstellt. Der Noch-Student am Goldsmith College hat seinem Galeristen ein rhizomatisch wucherndes Ensemble aus Gipsstalagmiten, Fake-Maschinen, selbst komponierter Musik, übermalten Prints und Kirschenbildern beschert. Die meisten Objekte rangieren preislich zwischen 500 und 1500 Euro. Eine sichere Anlage, nicht nur für Brit-Art-Fans!

Nimmt man die „Zone 1“ als Trendbarometer, zeichnet sich bei den Jungen eine Tendenz in Richtung Skulptur, Installation, Objekt ab. Kristina Inciuraite etwa aus Vilnius (vertreten von Antje Wachs, Berlin) hat ihre Ecke nebst fragiler Wandzeichnung und Video mit einem Ständer voller Seidenkleider bestückt. Und zum ästhetischen Pas de deux treten am Ende der Reihe Roland Kollnitz und der Deutsche Tilo Schulz. Während Schulz seinen Space von Decke bis Boden mit imposanten Holzketten umschlossen hat, deren Kugeln sich unerwartet zum Schriftzug „Cold War“ formieren, hat der Zobernig-Assistent unter dem Titel „kleine Szene mit Lümmel“ eine offene Lounge gebaut, in der er so traditionelle Themen wie Kreis, Säule, Tisch und Podest ins Spiel bringt. Die Installation aus Stahl, Magneten, Aluminium, Brettern und PVC ist nur im Ganzen zu haben. Mit einem Preis von 30.000 Euro adressiert sie Museen, Großsammlungen. Unscheinbar wirkt dagegen die Dia- und Videopräsentation von Kamen Stojanov, vertreten von der Galerie Dana Charkasi. Just diese Unprätentiösität hat aber die MUMOK-Jury bewogen, den in Wien lebenden jungen Bulgaren zu einer Museumsausstellung exakt zum Zeitpunkt der Viennafair 2008 einzuladen.

Anreiz für Kauf-Debütanten

Noch weitere Bekenntnisse in Richtung Raumbezug gibt es: einmal der am ersten Messetag ebenfalls von einer Fachjury vergebene Preis der Wirtschaftskammer Wien, für die interessanteste Standgestaltung. Ihn heimste Layr:Wuestenhagen, Wien, für ihre von der Gruppe Mahony im Inneren mit einem Floß ausgestattete, an einer Seite mit riesigem Loch in der Wand versehene Koje ein. Auch in der erstmals an der Viennafair stattfindenden Sonderausstellung über das Sammeln „New Visions“ spielt Skulptur eine wichtige Rolle – als Objekt der Begierde. Darüber hinaus ist die Schau nicht nur eine schöne Abrundung, sondern auch ein Anreiz, selbst den ersten Ankauf zu wagen.

Inline Flex[Faktbox] MESSE: Über 1000 Künstler("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2007)

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