Porträt: Anna Politkowskaja - Für viele die letzte Hoffnung

Die am 7. Oktober 2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja war schon zu Lebzeiten eine Symbolfigur. Nach ihrem Tod wurde sie zur Ikone. "Mit diesem Mord wollte man auch die Journalisten an sich einschüchtern", umriss der stellvertretende Chefredakteur von Politkowskajas Zeitung "Nowaja Gaseta", Oleg Chlebnikow, im November 2006 bei der Verleihung des Journalistenpreises "Writing for CEE" die Situation für Medienschaffende in Russland.

Gallina Mursaliewa, eine Arbeitskollegin der 1958 geborenen Politkowskaja, erklärte einmal, für viele Menschen, vor allem in Tschetschenien, sei Politkowskaja "die letzte Hoffnung" verloren gegangen. Zumal Putin und den russischen Behörden der Vorwurf gemacht wurde, an einer Aufklärung des Falls nicht wirklich interessiert zu sein. Inwieweit die Meldung, dass nunmehr zehn Tatverdächtige festgenommen worden seien, eine Wende bedeutet oder nicht, wird sich erst herausstellen.

Vize-Chefredakteur Chlebnikow hatte jedenfalls im November fest gestellt: In den sieben Jahren, die er nun schon für die "Nowaja Gaseta" arbeite, seien drei Journalisten getötet worden. Doch erfülle die "Gaseta" wohl auch die Funktion eines "Feigenblattes", welches der Staatsmacht als Vorzeigebeweis für das Existieren von Medienfreiheit in Russland diene. Beim Fernsehen würde Derartiges nicht geduldet.

"Hat mit Herz und Hirn beobachtet" 

Die langjährige Leiterin des ORF-Büros in Moskau, Susanne Scholl, erinnerte damals daran, dass Politkowskaja "mit Herz und Kopf beobachtet und beurteilt habe, ohne Rücksicht auf eventuelle Wünsche oder Begehrlichkeiten jener, über die sie schrieb". Sie habe auch immer wieder gesagt, dass sich jeder in Gefahr begebe, der im Russland des Wladimir Putin die Wahrheit sage. Der Mord an Politkowskaja sei vor allem eines: "Ein Symptom für den Zustand der russischen Gesellschaft im sechsten Jahr der Präsidentschaft des Wladimir Putin."

Polikowskaja hatte im Herbst 2001 nach einer Morddrohung in Wien Zuflucht gesucht, wo sie als Stipendiatin am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) ein Buch über das Verhältnis zwischen Russischen Föderation und der Teilrepublik schrieb. "Mein Chefredakteur hat mir geraten, aus Russland zu fliehen", berichtet sie damals im Gespräch mit der APA. Sie kehrte aber später nach Hause zurück.

Für ihre Artikel über den Krieg in Tschetschenien und ihre Bücher wurde sie mit Preisen ausgezeichnet. 2005 erhielt sie etwa den Olof-Palme-Preis. Doch Politkowskaja, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, schuf sich damit auch Feinde. Trotz der Morddrohungen gab sie sich ruhig und gelassen. Einen Tag, nachdem sie Moskau 2001 verlassen hatte, wurde ihre Nachbarin mit einer Flasche erschlagen. "Meine Nachbarin ist ungefähr so groß wie ich. Sie hat auch graue Haare. Mama, die Flasche war für dich gemeint, sagen meine Kinder."

Russischer Major als "Erzfeind"

Als ihren schlimmsten Verfolger bezeichnete die Journalistin 2001 Major Sergej Lapin, einen Veteranen des Kriegs in Tschetschenien, der mittlerweile wegen seiner dort begangenen Verbrechen zu elf Jahren Haft verurteilt worden ist. "Er hat eigenhändig mehrere Menschen ermordet. Ich habe es auch geschrieben. Deshalb will er mich umbringen. Ich weiß, dass meine Angst nicht grundlos ist", sagt Politkowskaja. Aber auch von "Personen von hohem Rang" im russischen Verteidigungs- und Innenministerium habe sie Drohungen erhalten.

Für Aufsehen hatte die Tschetschenien-Expertin auch gesorgt, als sie 2002 nach dem Geiseldrama in einem Moskauer Musical-Theater die russischen Behörden kritisierte: Das Leben aller Geiseln hätte ihrer Ansicht nach gerettet werden können, wenn die russische Führung auf Verhandlungen mit den tschetschenischen Rebellen beharrt hätte, statt das Gebäude stürmen zu lassen. Die Rebellen hatten rund 800 Zuschauer und Schauspieler als Geiseln genommen. Spezialeinheiten beendeten das Drama mit einem Gaseinsatz nach drei Tagen am 26. Oktober. 129 Geiseln wurden dabei getötet, darunter eine aus Bulgarien stammende Österreicherin.

Im Herbst 2004 machte Politkowskaja auch im Zusammenhang mit dem Geiseldrama an einer Schule in Beslan Schlagzeilen. Die Behörden sollen versucht haben, sie und andere Medienvertreter daran zu hindern, zum Schauplatz im Nordkaukasus zu kommen. Politkowskaja soll auf ihrem Flug nach Beslan vergiftete Getränke bekommen haben. (APA)

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