Choreografin Christine Gaigg: Der Text tanzt

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Die Choreografin Christine Gaigg macht die Wortflut der Elfriede Jelinek auf der Bühne sichtbar. Ein Gespräch über käufliche Liebe und über Zuschauer, die zu Voyeuren werden.

urchaus als Ehre empfand die österreichische Choreografin Christine Gaigg die Einladung, in Zürich Elfriede Jelineks „Über Tiere“ zu inszenieren. Während der intensiven Beschäftigung mit Jelineks zweiteiligem Text – der erste Teil ist die Liebesklage einer Frau, der zweite eine Montage von polizeilichen Abhörprotokollen der Kundentelefonate einer kriminell agierenden Wiener Begleitagentur, veröffentlicht in der Stadtzeitung „Falter“ – spürte Gaigg bald Verwandtschaft.

Was eint Sie mit den Texten von Elfriede Jelinek?
Ich bin sehr schnell daraufgekommen, dass die Art, wie Jelinek schreibt, der Rhythmus und das Arbeiten mit den Modulen, sehr viel damit zu tun hat, wie ich choreografiere.
Haben Sie mit der Jelinek gesprochen, sie kennen-gelernt?
Nein, ich habe es probiert, sie hat sehr freundlich reagiert, hat mir Glück gewünscht, wollte aber keinen persönlichen Kontakt. Das gab mir dann aber auch viel Freiheit.
Wie ist der Titel zu deuten? Wer sind die Tiere?
Genau weiß ich das auch nicht, auf keinen Fall sind die Männer damit gemeint. Ich habe die Frage gelöst, indem ich die Tänzerinnen so eine Art Zwischenwesen sein lasse, sie sind reiner Körper und auch in den Kostümen gibt es vorsichtige Anklänge ans Tierische.
Wie halten Sie es mit den Tieren?
Nicht sehr eng, ich habe wenig Beziehung zu Tieren.
Sie arbeiten mit Tänzerinnen, aber es wird nicht getanzt.
Ich verwende auch keine Musik. Im Gespräch mit Bernhard Lang war bald klar, dass es keine Musik in dem Sinn geben wird. Ich habe den Sprachfluss genommen, wie er ist, der Text ist ja ganz schlecht zum Selberlesen. Jelinek hat diese Abhörprotokolle organisiert, also eine rhythmische Leistung erbracht. Ich habe nichts anderes getan, als das, was sie schon aufbereitet hat, auf Raum und Ensemble übertragen.
Ist Jelineks Text Tanzmusik?
Ja schon, auf jeden Fall. Man kann sogar sagen, der Text an sich tanzt schon. Er hat schon so viel mit Bewegung zu tun, dass man da gar nichts extra machen muss. Es ist dasselbe, was ich mit Bewegung mache: arbeiten nach einer Partitur.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Zuschauer zu sabbernden Voyeuren werden?
Das war mir bewusst. Das Voyeuristische ist ja das Akus-tische, damit spiele ich schon. Es geht mir darum: Wie gehen die Zuschauer damit um, was halten sie aus? Auch wie viel Schmerz.
Was ist an der bezahlten Liebe so verwerflich?
Der eigentliche Skandal ist nicht die bezahlte Liebe, sondern dass der Sex auf Grund falscher Versprechungen, Nötigung, Menschenhandel, Missbrauch zustande kommt. Also ein Durcheinander von doch verwerflichen Situationen. Es geht hier nicht um Moral.
Sie haben schon vor zehn Jahren ein Stück über
Prostitution choreografiert, „Rough Trades“, fasziniert Sie das Thema?
Damals war schon eine Faszination da. Da gibt es diese merkwürdigen Allianzen zwischen Justiz und Zuhältern und Drogenszene. Ich bin von einem realen Fall ausgegangen, dem Mord an einer Prostituierten. Heute bin ich älter und Mutter, aber Jelineks Text entwickelt schnell einen Sog, da ist dann schon eine gewisse Ambivalenz da.
Warum soll man sich das anschauen?
Ich sehe das Theater als Aufklärungsort, als Chance, mit den eigenen Gefühlen in Kontakt zu kommen. Ein politisches Thema, von einer Nobelpreisträgerin an die Öffentlichkeit gebracht, dem können sich die Zuschauer doch aussetzen! Es ist eine, vielleicht schmerzhafte, kurze Erfahrung. Eine Stunde nur.

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