Sarkozy: Geschenkt gibt's nichts

(c) AP (Christophe Ena)
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Frankreich. Die Zeiten des großzügigen Wohlfahrtsstaates sind auch an der Seine vorbei.

PARIS. „Die Franzosen sind nicht so einfältig, von mir zu erwarten, dass ich wie ein Weihnachtsmann Geschenke verteile“, antwortete Präsident Sarkozy am Donnerstagabend bei einem Fernsehinterview zum Thema Kaufkraft, als ihn eine Journalistin fragte, was er denn konkret anzubieten habe, um das Lebensniveau zu verbessern. Deutlicher konnte er seinen Landsleuten nicht sagen, dass mit ihm die Zeiten des großzügigen Wohlfahrtsstaates in Frankreich vorbei sind. Er erinnerte seine Wähler an den Slogan seiner Kampagne: „Wer mehr verdienen will, soll mehr arbeiten.“ Seine Aufgabe bestehe darin, alle Hindernisse zu beseitigen, die es bisher erschweren, Mehrarbeit zu verrichten.

Da der defizitäre Staat nichts zu verteilen hat, und damit auch der soziale Spielraum der Regierung sehr eng geworden ist, spielt Sarkozy den Ball an die Wirtschaft und die einzelnen Beschäftigten. Die meisten seiner Vorschläge basieren auf Freiwilligkeit. So möchte er, dass die Unternehmen die durch geleistete Überzeit akkumulierten Kompensationstage ihrem Personal in Geld ausbezahlen. Das solle auch der Staat machen, beispielsweise im Gesundheitswesen.

Ende der 35-Stunden-Woche

Allerdings droht Sarkozy den Firmenleitungen, die keine seriöse Lohnverhandlungen führen, mit einer Streichung oder Kürzung bisheriger Erleichterungen bei den Arbeitgeberbeiträgen. Auch kleinere Firmen, wünscht der Präsident, sollten ihre Mitarbeiter am Ertrag beteiligen, und er stellt in Aussicht, dass diese Gratifikationen steuerfrei sein könnten.

Bereits seit Oktober sind Überstunden für die Arbeitgeber von Sozialbeiträgen und für den Arbeitnehmer von Einkommenssteuer befreit. Auf den Einwand, diese Regelung habe sich als so kompliziert erwiesen, dass die meisten Unternehmen lieber darauf verzichteten, erwiderte Sarkozy, es sei viel zu früh für eine Bilanz. Im übrigen scheue er es nicht, mit seinen Ergebnissen zu konfrontiert zu werden.

Die gesetzliche 35-Stunden-Woche, die Sarkozy für die Stagnation der Löhne der letzten Jahre verantwortlich macht, soll weiter ausgehöhlt werden. In Zukunft dürfen einzelne Unternehmen auch in den Branchen, wo Abkommen existieren, über „Ausnahmen“ von der geregelten Gesamtarbeitszeit und auch über mehr Flexibilität verhandeln. Der Politologe Jérôme Jaffré unterstrich, dass es dabei in der Sozialpolitik zu einer „eigentlichen individualistischen Kulturrevolution“ komme.

„Frustration in der Bevölkerung“

In Sarkozys Vorstellungswelt müssten nämlich die Arbeitnehmer einzeln oder zumindest auf Betriebsebene mit dem Arbeitgeber verhandeln, die Fleißigen und Verdienstvollen würden entsprechend belohnt. Mit den Sozialpartnern will Sarkozy ab Mitte Dezember über Lockerung des Arbeitsrechts sprechen.

Eine frohe Botschaft hatte Sarkozy für die Mieter – in Frankreich eine Minderheit: Die jährliche Teuerung der Wohnungsmieten, die in den vergangenen Jahren jeweils rund fünf Prozent betrug, soll nicht mehr wie bisher an den Index der Neubaukosten, sondern an die generelle offizielle Inflationsrate gebunden sein.

Laut Umfragen meinen 59 Prozent der Franzosen, ihre Kaufkraft habe sich in den letzten Monaten aufgrund der drastischen Verteuerung der wichtigsten Verbrauchsgüter wesentlich verschlechtert. Ihnen hatte Sarkozy „starke Maßnahmen“ in Aussicht gestellt.

Die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ meinte nun zu seinem Auftritt: „Die gestrigen Ankündigungen werden jene bestimmt enttäuschen, die auf Bargeld oder rasche Preissenkungen hofften. Das Wesentliche für ihn ist es, den Kurs trotz Erschütterungen durch die Mobilisierungen gegen Pensions- und Justizreform beizubehalten. Denn für ihn sind es die Reformen, welche die Kaufkraft von morgen schaffen.“ Mit Frustrationen in der Bevölkerung rechnet auch die konservative Zeitung „Le Figaro“, in deren Popularitätsumfragen Sarkozy erstmals unter die 50-Prozent-Schwelle kommt.

AUF EINEN BLICK

Die Franzosen sind über die steigenden Lebenshaltungskosten unzufrieden. Auf die Forderung nach Maßnahmen zur Kaufkraftsteigerung antwortet Präsident Nicolas Sarkozy mit seinem Wahlslogan: „Wer mehr verdienen will, muss mehr arbeiten.“ Sarkozy will das ermöglichen – etwa durch die Abschaffung der 35-Stunden-Woche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2007)

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