Drei Versuche über Peter Handke

DPA (Gert Eggenberger)
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Der Schriftsteller wird heute 65, und nein, keiner hier vergleicht ihn mit Adalbert Stifter. Unter anderem: Der Skandal der „winterlichen Reise“.

Die Dauer

„Hoch über mir im Wind zogen namenlose Männer vorbei, und dann war ich selbst blind wie sie und machte mich auf, meinen Namen zu suchen.“

Peter Handke, Schüler des so katholischen wie humanistischen Stiftsgymnasiums Tanzenberg nahe Klagenfurt, war 16 Jahre alt, als 1959 seine Erzählung Der Namenlose in der „Kärntner Volkszeitung“ veröffentlicht wurde. Kurz darauf verließ er die Schule, entschied sich gegen das Priesteramt und für die Berufung zum Dichter.

So begann die Karriere eines Solitärs der deutschen Literatur. Seine Sprache ist von hohem Ton und erlesenem Gefühl. Große Themen Handkes sind bereits in dem zitierten Satz des Künstlers als junger Mann enthalten. Der Erzähler ist träumend auf der Suche, er schaut die Dinge und findet Namen für sie. Diese Wortklauberei, das homerische Posieren, hat etwas Provokantes. Behauptet wird die reine Poesie. Für Peter Handke, den Vielschreiber, das Marketing-Wunder des Suhrkamp-Verlages, muss man sich also Zeit nehmen. Seine Texte gewinnen beim Wiederlesen und Gegenlesen. Sie brauchen die Zuneigung des Lesers.

Aufnahme in die Pléiade-Bibliothek

„Das Gedicht von der Dauer ist ein Liebesgedicht. / Es handelt von einer Liebe auf den ersten Blick, / welchem noch zahlreiche solcher ersten Blicke / nachfolgten.“ Wie ein Stundenbuch liest sich das schmale Werk Gedicht an die Dauer aus dem Jahre 1986. Es geht dem Poeten um das Unvergängliche, das im Kunstwerk aufgehoben wird: „Wer nie die Dauer erfuhr, / hat nicht gelebt.“

Handke schreibt diese Erfahrungen seit 50 Jahren auf, täglich, handschriftlich, vieltausende Seiten Prosa, Reflexionen, Dramen und Übersetzungen bisher. Einige seiner Gedichte wurden sogar in den zweisprachigen Band deutscher Poesie der Pléiade-Bibliothek aufgenommen, dem Dichterhimmel der Franzosen.

Haltbares gibt es von Anfang an, es steckt sogar in scheinbar beiläufigen Texten wie Der Rand der Wörter I oder Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg / vom 27. 1. 1968 oder gut eingepackt in dickbändigen Journalen wie Gestern unterwegs (2005) oder tief versteckt in Monstern wie Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), das man doppeldeutig als Aussteiger-Buch bezeichnen kann.

Der Skandal der „winterlichen Reise“

Dauerhaftes sucht Handke auch in seinen Reiseberichten, die, wenn sie etwa 1996 in das ehemalige, vom Krieg zerrissene Jugoslawien führten, von der Kritik zum politischen Skandalon verkürzt wurden. Die Wiederholung aber, eine literarische Tour durch die Geschichte Sloweniens, 1986 veröffentlicht, zählt zu den Meisterwerken Handkes. Der Protagonist Filip Kobal erfährt Folgendes: „Ein so zärtliches wie grobianisches Volk entstand da vor ihm, in vielen Spielarten die Schnelligkeit im Denken und die Langsamkeit im Handeln verspottend...“

Grobianisch und zärtlich zugleich – das sind auch wesentliche Charakterzüge des Dichters Peter Handke, der auszog, vor einem halben Jahrhundert fast, sich in der Literatur einen Namen zu machen. Dass in der Schule Bücher wie Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970) oder Wunschloses Unglück (1972) zur Pflichtlektüre zählten, hat ihn nicht beschädigt. Sein Werk übersteht auch widrige Umstände.

Die Aufbruch

„In dem hallenden Stahlgitarren-Ritt von ,Apache‘ wurde das miefkalte und verrülpste ,Espresso-Stübchen‘ an der Durchfahrtsstraße von der ,Stadt der Volksabstimmung von 1920‘ zur ,Stadt der Volkserhebung von 1938‘ angeschlossen an eine ganz andere Elektrifizierung, mit der man, an der leuchtenden Skala in Hüfthöhe, die Nummern von ,Memphis, Tennessee‘ wählen konnte, in sich selbst den geheimnisvollen ,Schönen Fremden Mann‘ heranwachsen spürte und das Rumpeln und Quietschen der Laster draußen auf der Bundesstraße umgewandelt hörte in das gleichmäßig sonore Dahinziehen eines Trecks auf der ,Route Sixty-Six‘, mit dem Gedanken: Gleich wohin einmal – nur Aufbruch!“

Dieser klare, trickfreie Satz aus Versuch über die Juxebox fasst, was Popmusik (für Handke) tat/tut: Sie befreit, stellt einen on the road, heraus aus der Öde, und stehe sie auch mitten in dieser. „,Mein Vater war ein Trinker‘, sagte ich, in einem Ton, als ob ich nur ,My father was a gambling man‘ in ,The House Of The Rising Sun‘ abwandeln wollte“, steht in Der kurze Brief zum langen Abschied: Der nach Sprache Suchende kann sich die Sprache des Pop, des Blues anverwandeln.

Zunächst tritt Popmusik bei Handke als Vorsatz auf, als Anweisung. In den „Regeln für die Schauspieler“ für die Publikumsbeschimpfung ordnet er u.a. an: „Die Litaneien in den katholischen Kirchen anhören“; „Das Inswortfallen bei Debatten anhören“; „,Tell Me‘ von den Rolling Stones anhören“. Das war 1966, ein Jahr bevor Wolfgang Bauer in „Magic Afternoon“ seinen Schauspielern vorschrieb, den Rolling-Stones-Songs desselben Jahres sehr genau nachzuhören.

All die Hymnen fürs Leben

Wie nahe sie der damals atemlos eilenden Popgeschichte waren! Von deren Dringlichkeit und Innigkeit erzählen Handkes Figuren fünf Jahre später, im Kurzen Brief, schon im Rückblick: An „I Want To Hold Your Hand“ und „Satisfaction“, an „Summer In The City“ und „Wild Thing“ erinnern sich zwei Liebesleute als an den Soundtrack ihrer wilden Jahre, und Claire konstatiert: „Jetzt habt ihr Hymnen für euer Leben, und nichts mehr braucht euch unangenehm sein. Alles, was ihr noch erleben werdet, wird im Nachhinein ein Erlebnis gewesen sein.“

Also die Erinnerung. Etwa an „Canned-Heat“-Sänger Al Wilson, den Handke uns in Erinnerung rief. Und, immer wieder, die Automaten der Erinnerung, die Musikboxen, in Kärnten (wo es laut Wunschlosem Unglück stets eine Platte mit dem Titel „Weltverdruss-Polka“ gab), Slowenien (wo laut Gestern unterwegs nie „Eric Burdon“ steht, sondern „Burdon Eric“) und überall.

Unsere Erinnerung an Handke, wie er in den späten Achtzigern im „alten Chelsea“ in der Piaristengasse beim Rotwein saß, nicht nur wenn seine Tochter Amina auflegte, an der unteren Bar, mitten im Gitarrendröhnen.

Peter Handke ist sieben Monate und 20 Tage älter als Mick Jagger, er sieht noch immer aus wie ein Beatle.

Die Abwesenheit

„Man hat nirgendwo so oft das Gefühl der Unendlichkeit wie im Kino“, notiert Handke 1969 unter zwei Bildern Burt Lancasters in der John-Cheever-Verfilmung Der Schwimmer von Frank Perry. Bezeichnenderweise interessiert sich Handke nicht für Regisseur oder Literaturvorlage, sondern für die Bewegung der Schauspieler – und noch etwas: „Das Auto ganz rechts im Bild stammt, laut Vorspann von der Firma Pontiac.“ Absatz. Anmerkung zur Unendlichkeit.

„Dummheit und Unendlichkeit“ heißt dieser Aufsatz, der Handke einmal mehr als den feinsinnigen Filmbeobachter mit Hang zum Beunruhigtsein zeigt, der anderswo über Humphrey Bogarts stets „beunruhigend feuchte Unterlippe“ sinnierte: „Des Teufels nackte Tochter war für mich ein sehr unheimlicher Film.“ (Wegen der „gespenstisch“ inkongruenten, offenbar einem anderen Film entlehnten Istanbul-Außenaufnahmen in der deutschen Billigproduktion). Ja, unheimlich ist Handke da sogar eine Stuyvesant-Werbung, weil sie ohne Ton projiziert war: An ein Versehen des Vorführers will Handke im Nachhinein kaum glauben.

Dem Elend des Vergleichens entkommen

Die Kinoliteratur des Filmgehers Handke nimmt das (herkömmliche Definitionen des Begriffs sprengende) Literaturkino des Filmemachers Handke vorweg: Er ist filmisch „belesen“, vielleicht sollte man sagen „besehen“, er will jedenfalls die Bilder näher besehen wissen. Handkes Interesse, auch als Inszenator, gilt nicht zuletzt der kinematografischen Form, deren Funktion durch „Fehler“ besonders, beunruhigend klar wird: gegen das Überhandnehmen der „genormten filmischen Syntax“ schreibt er schon 1968 im Essay „Theater und Film: Das Elend des Vergleichens“. Handkes Filmschaffen ist auch Versuch, diesem Elend zu entkommen, die genormte Syntax zu unterlaufen.

So schildert Handkes erste Kinoregiearbeit Die linkshändige Frau (1978) den Beschluss einer Bürgerin, den Gatten zu verlassen, und ihre Selbstverwirklichungsversuche in Vignetten von erstaunlicher visueller Präzision und rätselhafter Schönheit. Ein deutliches Modell ist das stille Kino des japanischen Meisters Ozu Yasujiro, die Protagonistin sieht auch einen von dessen Stummfilmen: Aber lag Ozus Genie darin, formvollendet das Unergründliche im Einfachen zu offenbaren, so wirkt die Form Handkes kunstbeflissener Reflexionsarbeit manchmal einfach unergründlich, wie eine Ideensammlung zum Unsagbaren.

München als Amerikanischer Traum

Die Abwesenheit heißt 1992 Handkes beredter Wanderfilm und filmisches Wahrnehmungsexperiment, an (Selbst-)Ironie mangelt es ihm nicht: In Die linkshändige Fraumahnt Bernhard Minetti den Schauspieler Jürgen Vogel ab für Versuche, „wie in diesen amerikanischen Filmen“ zu wirken. Das bezieht sich (auch) auf Vogels Auftritte bei Wim Wenders, Handkes Kinokomplizen der früh(er)en Jahre: Die perfekte Fusion ihrer gemeinsamen Film-Musik-Obsession für (ein fiktives) Amerika gelang 1969 im Wenders-Meisterwerk DreiAmerikanische LPs:Die Musik von US-Bands gibt Münchner Landschaften das Flair eines Amerikanischen Traums, Ekstase wie Analyse liefern darüber Handkes Dialoge: „Die Creedence Clearwater. Sie spielen wie ein Mann.“ Wenders verrannte sich bald in dem Traum, der Regisseur Handke blieb stets auch analytisch – und ein wenig beunruhigend. hub

Das Filmarchiv zeigt bis 7.1.08 Werke von Handke wie Wenders im Metro. („Drei Amerikanische LPs“ nur als Videoprojektion).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2007)

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