Türkei: Der Gast beim Erbfeind bricht Tabus

AP (BURHAN OZBILICI)
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Griechischer Premier Karamanlis in Ankara: Freundliche Worte, harte Fronten.

Ankara. Ein griechischer Regierungschef legt einen Kranz an Atatürks Grab nieder: Darauf haben die Türken 49 Jahre lang gewartet. Kostas Karamanlis besucht Ankara, wie zuletzt sein Onkel 1959. Spätere Amtsvorgänger reisten nach Istanbul und Izmir, doch nie in die türkische Hauptstadt, wo es zum guten Ton gehört, das Mausoleum des Republik-Gründers zu besuchen. Der aber hatte die Griechen aus Anatolien vertrieben.

Nun versuchen Karamanlis und sein Gastgeber, der türkische Premier Tayyip Erdogan, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Es gibt genügend aktuelle Streitpunkte. Erdogan forderte von Karamanlis eine Initiative zur Lösung der Zypernfrage. Der Gast wich aus, wurde aber beim Thema der Ägäis-Grenzen selbst offensiv: Er drohte, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Diesmal wich Erdogan aus. Denn Ankara erkennt Den Haags Zuständigkeit nicht an. Indessen häufen sich Reibereien wegen Grenzziehung und Hoheitsrechten.

Probleme macht auch die Stellung von Minderheiten in der Türkei. Karamanlis erinnerte an Verpflichtungen aus dem EU-Beitrittsprozess und drang auf die Öffnung eines orthodoxen Priesterseminars bei Istanbul. Dies sei „der Pass für die Mitgliedschaft in der EU“. Wie gewohnt präsentierte er griechische Wünsche als Beitrittskriterien. Aber Ankara zweifelt, ob ein Pass aus Athen in Berlin und Paris abgestempelt wird.

Die Wirtschaft schafft Nähe

Erdogans Regierung versucht, den EU-Beitritt als Notwendigkeit im Rahmen eines „Bündnisses der Kulturen“ zu verkaufen. Zugeständnisse an kleine Nachbarn sind aus solch weltpolitischer Perspektive wenig wichtig. Entsprechend vage ist Erdogan geblieben.

Doch auch ohne Fortschritte in Sachfragen war der Besuch ein atmosphärischer Erfolg. In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit kommen sich beide Länder ohnehin ständig näher. Karamanlis beendete seine Reise in Istanbul, wo er sich mit Geschäftsleuten und mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaios traf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2008)

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