Der Osten macht Schule

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Mittel- & Osteuropa. Wien ist Weiterbildungs-Drehscheibe für MOE-Länder.

wien. „Von unseren 30 Mitarbeitern im Wiener Headquarter haben rund die Hälfte Migrationshintergrund“, sagt Gottfried Kretz, Geschäftsführer des Reedereifirma Meridian. Und das ist gut so: „Sie sprechen Tschechisch, Polnisch, Ungarisch, Bulgarisch und Russisch“. Das Unternehmen vertritt große internationale Containerreedereien in Mittel- und Osteuropa (MOE; auch: Central East Europe, CEE) und nutzt Wien dazu als Drehscheibe.

Meridian ist eines von rund 300 nationalen und internationalen Unternehmen, die in Wien ihr Headquarter für den Raum MOE aufgeschlagen haben. Nicht nur aus geografischen Gründen gilt Wien als idealer Ausgangspunkt für Beziehungen in diese Region. Zur Zeit des Kalten Krieges erfüllte es eine Brückenfunktion zwischen Ost und West, und schon seit der Monarchie bestehen enge Verbindungen auch zu Südosteuropa. Die Entwicklungen der letzten Jahre nutzte vor allem die österreichische Wirtschaft. Kaum eine Statistik, MOE betreffend, in der Österreich nicht als internationaler Hauptprofiteur hervortritt.

Neu: Kompetenzzentrum & MBA

Mit den wachsenden Beziehungen steigt auch der Bedarf an Weiterbildung. Bereits seit 1994 bietet die FHS Burgenland Bachelor- und Masterstudien mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa an. Darunter ein Master für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und ein Master für Human Resource Management und Arbeitsrecht in MOE. Auch Sprachschulen melden einen „steigenden Bedarf an Einzelunterricht für Unternehmens-Mitarbeiter, die sich in den jeweiligen Ländern in der Landessprache verständigen wollen“, sagt Sonja Winklbauer, Leiterin des Sprachenzentrums der Universität Wien. Derzeit befinden sich in Wien neue Ausbildungsangebote in der Aufbau- beziehungsweise Vorbereitungsphase. Im Dezember gründete die WU Wien ein „Competence Center for Central and Eastern Europe“ (CC CEE) und schuf damit eine zentrale Stelle, von der aus zukünftig alle Forschungs-, Aus- und Weiterbildungsaktivitäten der Uni und interessierter Unternehmen koordiniert werden.

Ab Herbst wird an der FH des bfi Wien eine wirtschaftsbezogene Management-Ausbildung für Mittel- und Südosteuropa dazukommen. Beide Einrichtungen sehen sich als Teil einer Wertsteigerung des Standortes Wien. „Wir setzen auf die hohe nationale Kompetenz in den Geschäftsbeziehungen zu diesem Raum und wollen beitragen, dass Österreich diese Stellung behält“, sagt Andreas Breinbauer, Wissenschaftlicher Leiter des „MBA Central and South Eastern Europe“ an der FH des bfi Wien. In vier Semestern werden die Studierenden neben allgemeiner Betriebslehre alles lernen, was man fürs Geschäftemachen in dieser Region braucht.

Fangfrage: Wo liegt Prag?

Neben dem praktizierten Wirtschaftsrecht, einem Modul mit Ostsprachen und Personalfindung wird auch interkulturelle Verständigung unterrichtet. Für erfolgreiche Geschäfte sei nämlich eine gut funktionierende Beziehungsebene notwendig. Auch sollte man über Mentalität und Identität der Nationalitäten Bescheid wissen. Etwa, dass Prag im Zentrum Europas liegt und auch selbst diesem Raum zugeordnet werden will. „Wenn man auf eine Visitenkarte Osteuropa-Manager schreibt und eine tschechische Niederlassung gründen will, zeigt das, dass man überhaupt keine Ahnung hat“, sagt Breinbauer.

Die wohl traditionsreichste Bildungs- und Forschungseinrichtung, die sich den Beziehungen zu den südosteuropäischen Nachbarn widmet, ist das 1953 gegründete „Institut für den Donauraum und Mitteleuropa“ (IDM). Das Institut möchte nach Eigendefinition durch die Vermittlung von Wissen über diese Region zur Entwicklung guter nachbarschaftlicher Beziehungen beitragen. „Die wirtschaftlichen Erfolge Österreichs in dieser Region verlangen auch Wissen über kulturelle und politische Zusammenhänge. Angesichts der Dynamik der vergangenen Jahre bedarf das ständig einer Anpassung. Das vom Institut vermittelte Einfühlungsvermögen ist eine der Voraussetzungen für den Erfolg der Österreicher“, sagt IDM-Vorstandsvorsitzender und Ex-Vizekanzler Erhard Busek.

Mehrere Jahre schon bietet das IDM die postgraduale Ausbildung der Balkanstudien an, die nun seit Herbst durch eine Kooperation mit der Universität Wien zum Universitätslehrgang „Interdisziplinäre Balkanstudien“ (Abschluss: Master of Arts) wurde. Die Workshops, Symposien, Diskussionsveranstaltungen oder Publikationen des Instituts richten sich an die breite Öffentlichkeit.

Es gilt, neben der Wissensvermittlung auch festgefahrene, aber falsche Vorstellungen aus den Köpfen der Menschen zu bringen, denn wie Busek sagt, „selbst die Wiener müssen noch lernen, dass Prag eine Stadt im Nordwesten und nicht im Osten ist.“

ADRESSEN

Competence Center CEE: www.wu-wien.ac.at/cee
FH des bfi Wien: www.fh-vie.ac.at
Uni Wien: www.sprachenzentrum.at
Institut für Donauraum und Mitteleuropa:www.idm.at
FHS Burgenland: www.fh-burgenland.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2008)

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