Der Falke und die Taube

VOLKSPARTEI. Wolfgang Schüssel, die graue Eminenz, und Josef Pröll, der schwarze Kronprinz, geraten auch bei der Koalitionsstrategie aneinander.

Es war kein Zufall: Den SPÖ-Spitzen Alfred Gusenbauer und Werner Faymann saß neben Vizekanzler Wilhelm Molterer am Mittwoch im Kanzleramt nur der schwarze Regierungskoordinator Josef Pröll gegenüber. Die SPÖ wollte ÖVP-Klubchef Wolfgang Schüssel bei der rot-schwarzen Krisensitzung partout nicht dabei haben – im Gegensatz zum ÖVP-Landwirtschaftsminister, der mit seinem SPÖ-Gegenüber als Regierungskoordinator, Werner Faymann, schon vor Wochen einen öffentlichen Friedensappell an die Führung der Großen Koalition gerichtet hatte.

Die „Taube“ Josef Pröll gegen den „Falken“ Wolfgang Schüssel: Über den Kopf von Parteichef Wilhelm Molterer hinweg wird im ÖVP-Gehege ein kleiner Machtkampf ausgetragen. Nun auch in der Frage der Koalitions-Strategie. Gilt Schüssel doch ÖVP-intern als treibende Kraft hinter den Plänen für vorgezogene Neuwahlen, für die es in der Volkspartei derzeit aber keine Mehrheit gibt. Daher stellte Parteichef Molterer bereits am Dienstag im „Presse“-Interview klar, dass er einen Neuwahlantrag der ÖVP ausschließe.

Schüssel und Pröll sind in den vergangenen Monaten mehrfach aneinander geraten. Inhaltlich, von der ideologischen Ausrichtung, wohlgemerkt. Sonst spricht Pröll nach wie vor in höchsten Tönen über die Kanzlerschaft Wolfgang Schüssels, der ihn 2003 in die Regierung geholt hatte. Und auch Schüssel schätzt Pröll als Minister und als Zukunftshoffnung.

Streitfall Homo-Partnerschaft

Dennoch stehen die beiden für eine unterschiedliche Art von Politik. Pröll ist moderner, weltanschaulich offener als der im Laufe seiner Karriere immer konservativer gewordene Schüssel. Offensichtlich wurde das bei der Präsentation des Berichts der ÖVP-Perspektivengruppe am 1.Oktober: Anlass war der von Pröll eingeleitete Schwenk hin zur rechtlichen Absicherung homosexueller Partnerschaften – für Schüssel bis dahin undenkbar. Intern habe der Klubchef seinen Unmut über Teile des neuen ÖVP-Kursbuchs noch viel deutlicher geäußert, heißt es in der Volkspartei.

Streitfall Mehrheitswahlrecht

Auf offener Bühne ausgetragen wurde der Disput um das Mehrheitswahlrecht. Auch diese Debatte wurde in Prölls Perspektivengruppe angestoßen. Danach bekundeten ÖVP-Politiker wie Wirtschaftsminister Martin Bartenstein offen ihre Sympathie für ein Mehrheitswahlrecht. Im Jänner trat dann aber Schüssel auf den Plan. In der ORF-„Pressestunde“ erteilte er Plänen für ein Mehrheitswahlrecht eine klare Absage. In den Reihen des ÖVP-Klubs war man erstaunt und auch nicht sehr erfreut, die „Befehlsausgabe“ via Fernsehen zu hören.

Pröll und Schüssel trennt ganz grundsätzlich aber auch ein Mentalitätsunterschied, der daher rührt, dass sie nicht aus demselben ÖVP-Stall kommen. Pröll entstammt niederösterreichischem ÖVP-Adel: Die NÖ-ÖVP ist sehr machtbewusst, früher war dort die „Stahlhelm-Fraktion“ zuhause, sie ist aber auch christlich-sozialer und großkoalitionärer ausgerichtet. Der Großstädter Schüssel ist verspielter, er tendierte immer eher zur aufgeschlosseneren Steirer-ÖVP. Diese hatte allerdings auch stets weniger Berührungsängste gegenüber dem freiheitlichen Lager. Und so hat die steirische ÖVP Schwarz-Blau/Orange auch vorbehaltlos unterstützt, die Niederösterreicher hingegen waren skeptisch. Bei der Wiederauflage von Schwarz-Blau 2003 stimmte Josef Prölls Onkel Erwin im Parteivorstand dagegen.

Streitfall Gagen-Striptease

Den bislang härtesten Schlagabtausch mit Neffe Josef lieferte sich Wolfgang Schüssel im November des Vorjahres: Pröll, seit April des vergangenen Jahres auch ÖVP-Vizechef, preschte mit der Forderung nach einer völligen Offenlegung der Höhe der Nebeneinkünfte der Parlamentarier vor. Klubchef Schüssel hielt die Veröffentlichung „auf Basis des bestehenden Gesetzes“ via Internet für ausreichend. Josef Prölls Plädoyer in einem „Kurier“-Interview für einen darüber hinausreichenden Gagen-Striptease nannte Schüssel trocken ein „Missverständnis“.

Prölls scharfe und unmissverständliche Replik ließ nicht lange auf sich warten: „Ich brauche keine Interpretation meiner Aussagen“, bekräftigte der Landwirtschaftsminister via Austria Presse Agentur. Durchgesetzt hat er sich mit seiner Forderung in der ÖVP freilich nicht: Die Diskussion darüber ist eingeschlafen, ohne dass es zu einer Gesetzesänderung gekommen wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2008)

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