Paraguay: Ein Priester als Präsident?

(c) AP (Jorge Adorno)
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Der Ex-Bischof und Befreiungstheologe Fernando Lugo könnte am Sonntag die Herrschaft der Großgrundbesitzer brechen.

ASUNCIÓN. „Bleib auf der Siegerseite!“, versucht ein rotes Transparent der „Colorado“-Partei an einer Hauptstraße von Asunción, Paraguays lauter und staubiger Hauptstadt, die Wähler bei der Stange zu halten. Seit 61 Jahren haben die Colorados (die „Roten“) das zwischen Brasilien, Bolivien und Argentinien eingeklemmte Binnenland in Südamerika in ihrer Hand: So etwa viele Jahrzehnte (1954-89) unter dem deutschstämmigen Diktator General Alfredo Stroessner, und seit 2003 unter Präsident Nicanor Duarte Frutos.

Doch am Sonntag finden in dem Sechs-Millionen-Land Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, und die Colorados sind nervös: Gegen ihre schwache Kandidatin Blanca Ovelar, die als Duartes Platzhalterin gilt, tritt der Geistliche Fernando Lugo, ein früherer katholischer Bischof, an. Er will das Agrarland aus dem Würgegriff einiger weniger Mächtiger befreien und die Korruption bekämpfen. Laut Umfragen sind seine Chancen gar nicht schlecht.

Wahlfälschung erwartet

Doch viele Paraguayer sind überzeugt: Falls sich der 56-jährige Lugo, ein gemäßigter Befreiungstheologe, als Gewinner herauskristallisieren sollte, wird die Wahl gefälscht – oder die Colorados machen ihm das Regieren unmöglich. Das ist nicht unbegründet, denn in 197 Jahren Unabhängigkeit hat das Land praktisch keinen friedlichen bzw. normalen Machtwechsel gesehen. (Im Übrigen ist der Begriff „Colorados“ für europäische Verhältnisse irreführend: Diese „Roten“ – sie regierten von 1887 bis 1904 und wieder ab 1946 – sind nämlich keineswegs Sozialisten, sondern eine durch und durch konservative Partei, die von Militärs, Unternehmern und Großgrundbesitzern getragen wird.)

„Colorados“ sind unruhig

Wie sehr Duarte einen Machtwechsel fürchtet, zeigt seine Aggressivität: Lugo, der sein Bischofsamt 2007 abgab, um in die Politik zu gehen, stecke mit einer radikalen linken Gruppe unter einer Decke, behauptet er, ohne Beweise vorzulegen. Und die Regierung, so der Präsident, „fürchtet sich weder vor der Wahl noch vor Kugeln“. Andererseits warnte die Polizei im Wahlkampf, Fernando Lugos Leben sei in Gefahr.

Ein Gang ums Parlament in Asunción ist erhellend: Der moderne Glaspalast wurde, wie so vieles, von Taiwan bezahlt; Paraguay erkennt als eines von nur noch wenigen Ländern den Inselstaat statt der Volksrepublik als offizielles China an. Einen Steinwurf entfernt, getrennt durch einen ungepflegten kleinen Platz, stehen die ersten Hütten einer Armensiedlung. Im Parlament scheint es vergnüglich zuzugehen. Ein Zeitungsfoto zeigt, nicht zum ersten Mal, wie ein Abgeordneter während der Sitzung auf seinem Laptop eine Porno-Webseite besucht.

Natürlich versprachen die Colorados im Wahlkampf nicht nur, dass sie gewinnen würden, sondern auch Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Bildung. Das kann freilich auch so aussehen, dass die kostenlosen Hefte und Stifte für Schüler, die aus Steuern finanziert werden, mit Slogans für Blanca Ovelar bedruckt sind.

Ovelar (50), eine ehemalige Volksschullehrerin und studierte Pädagogin, ist Bildungsministerin und folgte in diesem Amt dem 51-jährigen Nicanor Duarte, einem ehemaligen Anwalt und Journalisten, nach. Nun soll das gleiche im Präsidentenpalast funktionieren. Zwar wirbt Ovelar damit, dass die erstmalige Wahl einer Frau zur Präsidentin sozialen Fortschritt bedeute. Die Wähler interessiert das aber kaum: Sie haben dringendere Anliegen.

Immer mehr wandern aus

Bisher blieben die Colorados zu viele Versprechen schuldig, was sich auch daran zeigt, dass immer mehr Menschen auswandern. Ohne ihre Überweisungen an die Familien zuhause würde die Wirtschaft schlechter laufen. Laut Unicef ist jedes siebte Kind unter sieben Jahren unterernährt; 40% der Landbevölkerung leben in Armut.

Dass die Colorados dennoch stets siegten, erklärt ein Ex-Minister, der seinen Eintritt in die Regierung Duartes bald bereute, so: „In Paraguay gibt es zwischen der Performance der Regierung und dem Wahlergebnis keinen Konnex.“

LEXIKON. Paraguay

Weites Grasland dominiert diesen Staat, der in puncto Tourismus zu den am wenigsten erschlossenen in Südamerika gehört. Nach kurzer Blüte verlor er im Krieg gegen Uruguay, Brasilien und Argentinien 1864-70 die Hälfte seiner Fläche und 80% der Bewohner. Seit jeher herrschen Großgrundbesitzer und Militärs. Das Einkommen stammt vorrangig aus Landwirtschaft, Stromerzeugung und Schmuggel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2008)

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