Crystal Meth erobert das Land

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Vor rund zwei Jahren begann sich Methamphetamin in Österreich massiv auszubreiten. Wien blieb bisher von der Droge verschont, dafür kämpfen Ober- und Niederösterreich mit schlimmen Folgen.

Wien. Als „neue Todesdroge“ wurde die Substanz vor rund zwei Jahren angekündigt. Dem Stoff, der da – überwiegend aus östlichen EU-Ländern – über uns hereinbrechen sollte, eilte ein besonders schlechter Ruf voraus. Sein Straßenname: Crystal Meth, präziser auch als Methamphetamin bezeichnet.

Heute ist man bei der Einschätzung der Gefahr nicht mehr auf Prognosen angewiesen. Stark verkürzt gesagt waren einige Vorhersagen übertrieben, andere hat die Realität dagegen übertroffen. Streetworker sind bestürzt über den massiven physischen und psychischen Verfall ihrer Klienten. Vor einem Jahr gab es in Steyr sogar einen Mord, der im Crystal-Rausch stattfand.

Bemerkenswert an der Verbreitung des stark aufputschenden und euphorisierenden Methamphetamins ist jedoch, dass sich die Problemzonen der Droge auf die Länder Nieder- und Oberösterreich konzentrieren. Hier aber inzwischen deutlich wahrnehmbar. Fahnder berichten auch von immer häufigeren Funden von Produktionsstätten im Inland. In anderen Bundesländern und auf dem Hauptdrogenumschlagplatz der Republik, Wien, ist die Substanz jedoch nur in vergleichsweise mikroskopischen Dosen angekommen. Der Wiener Drogenbeauftragte Hans Haltmayer spricht von Einzelfällen, die die zuständigen Kontaktstellen aufsuchen.

Baltikum und Tschechien

Warum ist das so? Nun, weil Crystal Meth, das eigentlich nicht neu ist und schon von den Nazis im Krieg benutzt wurde, bis heute vorwiegend dort verkauft wird, wo es entsteht. Europol kennt in Europa zwei geografische Schwerpunkte. Erstens: die baltischen Staaten. Zweitens: Tschechien, in deutlich geringerem Ausmaß auch die Slowakei. Neben dem Grenzland in Nieder- und Oberösterreich sind auch die deutschen Bundesländer Bayern und Sachsen massiv von der Drogenschwemme betroffen. Wie stark die Flut wirklich ist, lässt sich nur erahnen.

Indizien dafür liefern die Detaildaten der Polizei. Seit 2003 hat sich die Zahl der jährlichen Anzeigen gegen Konsumenten und Dealer von Crystal Meth fast verachtfacht (siehe Grafik). Das Gewicht der jährlich beschlagnahmten Mengen war im letzten verfügbaren Berichtsjahr 2012 mit 3,2 kg sogar 23-mal so hoch wie damals.

Allerdings: Gemessen an der Zahl aller Suchtmitteldelikte (23.797) oder den sichergestellten Mengen anderer Drogen (2012: 920kg Cannabis, 139kg Kokain, 65kg Heroin) sind die Zahlen nach wie vor gering. Weil die Kontrollen innerhalb des Schengen-Raums schwierig sind, ist das wahre Ausmaß durch diese Daten nicht erkennbar. Ableiten lässt sich jedoch, dass das Problem größer wird. So landen derzeit pro Monat zwischen 16 und 20 Crystal-Patienten allein in der Suchtabteilung der Landesnervenklinik Linz. Die Zahl der anonymen Anfragen per Telefon ist ungleich höher.

„Ameisenschmuggel“

Ins Land kommt Crystal vorwiegend über den kleinen Grenzverkehr. Drogenfahnder nennen das auch Ameisenschmuggel. Kleinstmengen sind – zum Beispiel in einem Auto – leichter zu verstecken, sind wegen der kurzen Wege rentabel und stellen, sollten die Lieferanten doch erwischt werden, ein geringeres Strafrisiko dar. 70 bis 100 Euro ist ein Gramm Methamphetamin, das meistens geschnupft oder inhaliert wird, wert. Die Herstellungskosten betragen einen Bruchteil davon. Organisierte Banden bestellen die Vorläufersubstanzen legal und kostengünstig über Online-Apotheken und verarbeiten sie in den sogenannten böhmischen Küchen mit vergleichsweise einfachen Methoden zu Crystal Meth.

Was Erwin Meindlhumer vom Landeskriminalamt Oberösterreich einige Sorgen macht: „Wir entdeckten in letzter Zeit immer häufiger Labors auch in Österreich.“ Ein Trend, der bis ins Jahr 2012 keiner war. Bis dahin standen lediglich zwischen null und sieben Kleinstdrogenküchen, meistens für den Eigengebrauch, in der (bundesweiten) Kriminalstatistik.

Was vielen Ärzten und Sozialarbeitern, aber auch der europäischen Drogenbehörde in Lissabon (EMCDDA) im Zusammenhang mit Crystal Meth Sorgen macht, ist die Durchschlagskraft der Droge. „Trotz der noch relativ geringen Verbreitung“, so steht es in einem EMCDDA-Papier, „handelt es sich um eine Substanz, die das Potenzial hat, großen Schaden zu verursachen.“ Sozialarbeiter und Streetworker Olaf Beyer füllt diese eher theoretische Floskel mit Farbe. Im Zuge seiner Arbeit bei der niederschwelligen Erstanlaufstelle Substanz in Linz hat er mit den schweren Fällen zu tun. Diese unterscheiden sich seiner Beobachtung nach vor allem durch den extremen körperlichen und geistigen Verfall von den Konsumenten anderer Drogen. „Und nicht selten“, erzählt er, „neigen diese Leute zu Aggressivität.“

Nicht nur für Randgruppen

Eine Beobachtung, die sich mit vielen Berichten aus Lokalzeitungen deckt. Vor einem Jahr erwürgte ein 26-jähriger Mann aus Steyr seine 24-jährige Bekannte. Der inzwischen (nicht rechtskräftig) Verurteilte gibt an, bei seiner Tat unter dem Einfluss von Methamphetamin gestanden zu sein.

Sozialarbeiter Olaf Beyer prophezeit der Substanz jedenfalls eine große Zukunft in Österreich: „Anders als die eher dämpfend wirkenden Opiate passt Crystal Meth perfekt in unsere Gesellschaft.“ Ihm liegen Berichte vor, dass die Droge nicht nur in sozialen Randgruppen, sondern längst auch unter Industriearbeitern angekommen sei. Nicht in China oder Indonesien, sondern mitten im oberösterreichischen Zentralraum. Einsatzzweck: Leistungssteigerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2014)

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