Parlamentswahlen: Indiens neuer starker Mann

Supporters wearing masks of Modi, prime ministerial candidate for India´s main opposition BJP celebrate after learning of initial poll results in Allahabad
Supporters wearing masks of Modi, prime ministerial candidate for India´s main opposition BJP celebrate after learning of initial poll results in Allahabad(c) REUTERS (JITENDRA PRAKASH)
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Indiens neuer Premier ist Narendra Modi, ein umstrittener Politiker mit Verbindungen zu radikalen Hindu-Gruppen. Doch im Wahlkampf inszenierte er sich als Reformer.

New Delhi. In der Stunde seines größten Erfolgs zeigt Indiens neuer starker Mann mit einer symbolischen Geste, dass ihm der berauschende Wahlsieg nicht zu Kopfe steigt. Kurz nach Veröffentlichung des Wahlergebnisses am gestrigen Freitag holt sich Narendra Modi den Segen seiner 95-jährigen Mutter. Dann taucht er in den Siegestaumel hunderttausender enthusiastischer Anhänger ein. In einem Meer von safranfarbenen Flaggen bahnt sich die Wagenkolonne unter Trommelwirbel, Feuerwerk und Tanz einen Weg durch die überfüllten Straßen und Städte seines Heimatstaats Gujarats. Der euphorische Siegeszug gilt Narendra Modi, Indiens neuem Premierminister.

In einer fünfwöchigen Rekordwahl mit einer Beteiligung von über 66,4 Prozent haben sich Indiens Wähler für einen Machtwechsel entschieden. Der charismatische Modi hat seiner hindu-nationalistischen Bharatya Jantha Partei (BJP) mit 279 von 543 Sitzen zu einem erdrutschartigen Sieg und zur absoluten Mehrheit verholfen.

Ära des Gandhi-Clans zu Ende

Der regierenden Kongresspartei beschert er eine historische Niederlage: Mit weniger als 50 Sitzen steht sogar ihre Qualifikation als führende Oppositionspartei in Frage. Die Ära des dynastischen Gandhi-Clans ist nach zehnjähriger Regierungszeit vorerst zu Ende. Das Mutter-Sohn-Duo, Sonia und Rahul Gandhi, nimmt die Verantwortung auf sich. Die Ambitionen der Kongresspartei, Rahul Gandhi als politischen Erben in das Amt des Premierministers zu hieven, scheiterten kläglich. Der 43-jährige Parteivizepräsident konnte dem 63-jährigen Modi weder an politischer Erfahrung noch an Energie und Charisma das Wasser reichen.

Schuld daran waren nicht nur Korruptionsskandale, die selbst vor den Gandhis nicht haltmachten. Der Partei fehlte es mit dem passiven 84-jährigen Manmohan Singh als Premierminister an politischer Führungskraft. Indien schlitterte zunehmend in ein Machtvakuum. Dringend notwendige Reformen zum Ankurbeln der maroden Wirtschaft wurden nicht durchgesetzt. Das Bruttoinlandsprodukt sank in nur zwei Jahren von acht auf fünf Prozent. Narendra Modi ist nun die Antwort auf Indiens Ruf nach einer stabilen Regierung mit einem starken Mann an der Spitze.

Von Anfang an erkannte Modi den Puls der Zeit. Seine aggressive Wahlkampagne drehte sich nur um eine Person: um ihn. Auf riesigen Wahlplakaten prangte neben überlebensgroßen Modi-Portraits in deutlichen Lettern: „Aab ki bar Modi sarkar“ – „Dieses Mal eine Modi-Regierung“. Er stellte sich als den Retter Indiens dar. Die Partei war zweitrangig. Erstmals wurde in Indien ein Wahlkampf im Stil der amerikanischen Präsidentschaftswahl geführt.

Hinduismus als Leitkultur

Die Karriere des scharfsinnigen Politikers aus niedriger Kaste und ohne feudale Wurzeln ist für Indien außergewöhnlich. Über Jahrzehnte hinweg arbeitete er sich vom Teeverkäufer aus ärmlichen Verhältnissen zum dreimal in Serie gewählten Ministerpräsidenten des Bundesstaats Gujarats ins Zentrum der Macht vor. Seine politische Karriere verdankt er der rechtsradikalen Hindu-Organisation RSS. Von frühester Jugend an prägte sie sein konservatives, hinduistisches Weltbild. Das erklärte Ziel der RSS ist „Hindutva“, die Vereinigung aller Hindus, um ein starkes, hinduistisches Indien aufzubauen. Muslime und Christen können nur toleriert werden, sofern sie sich dem Hinduismus als Leitkultur unterwerfen.

In Verruf geriet Modi, da die Anfänge seiner Karriere als Ministerpräsident eng mit einem Pogrom an Muslimen von 2002 verbunden sind, dem größten Genozid an Muslimen in Indien, bei dem mehr als 1000 Menschen getötet wurden. Trotz eines Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof ist Modis Rolle ungeklärt. Bis heute verweigern ihm die USA ein Einreisevisum. Mit diesem ideologischen Gepäck ist er nicht nur für 230 Millionen Muslime der umstrittenste Politiker des Landes. Doch Modi gelang es, während seines Wahlkampfs aus dem Schatten des Hindu-Fundamentalismus zu treten und sich als moderner Staatsmann und Wirtschaftsreformer zu inszenieren.

Wirtschaft hofft auf Wunder

Die wirtschaftlichen Erfolge Gujarats wirkten dabei Wunder: Nach zwölfjähriger Amtszeit verzeichnet der Bundesstaat ein Bruttoinlandsprodukt von zehn Prozent. Der Vorzeigestaat mit funktionierender Infrastruktur gilt als Investmentparadies. Nun hofft die Nation, dass Modi sein Wahlversprechen hält und das Wirtschaftsmodell auf den Rest Indiens überträgt. Vor allem die Industrie erwartet sich ein wirtschaftsfreundliches Klima durch Abspecken hinderlicher Bürokratie, Erleichterungen im Landerwerb und Lockerungen von Umweltbestimmungen. Sie sind gewillt, Modis autoritären Regierungsstil, der selten Opposition duldet, in Kauf zu nehmen. Minuten nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses reflektiert Indiens wichtigster Aktienindex, der Sensex, die Euphorie und legt um 538 Punkte zu.

Wählerverhalten ändert sich

Und noch ein weiteres Phänomen wird sichtbar: Indiens Demokratie macht spannende Veränderungen durch. Das Wählerverhalten in den urbanen Zentren ändert sich rapide. Kasten und feudale Strukturen brechen immer mehr auf. Die traditionelle Parteienlandschaft gerät durch neue politische Akteure in Unordnung. Der Aktivist Arwin Kejriwal und seine Anti-Korruptionspartei „Aam Aadmi Partei“ sind das erste Mal im Rennen. Mit ihrem Wahlversprechen einer korruptionsfreien Gesellschaft punkteten sie besonders bei der aufstrebenden Mittelklasse in den Großstädten. Selbst wenn sie in der Parlamentswahl nur wenige Sitze erreichten, werden sie in Zukunft eine wachsende Rolle spielen.

Bei aller Euphorie gibt es warnende Stimmen: Minderheiten, Intellektuelle, Menschenrechtsaktivisten, Künstler und Journalisten sind skeptisch. Sie sehen den liberalen Raum Indiens bedroht und fragen sich, ob Modi als Premier einer rechten Hindupartei die Idee eines säkularen Staates weiterführen wird. Wenn der Trommelwirbel verstummt ist und Modi sein Kabinett bildet, wird sich zeigen, wie er mit den Machtforderungen der Hardliner umgeht. Erst dann kann Indien aufatmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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