Religionsgeschichte: Als Eva noch keine Schuld hatte

(C) Archiv
  • Drucken

In einer Schöpfungsgeschichte, die 800 Jahre vor jener der Genesis aufgeschrieben wurde und partiell in sie einfloss, gab es keine Ursünde. Stattdessen gab es einen Machtkampf zwischen Göttern. Ergebnis: der Mensch.

Warum wurden Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben? Na ja, das weiß ja jedes Kind: Eva hatte sich von der Schlange verführen lassen und dann selbst Adam verführt, so „erkannten sie einander“ – sexuell und moralisch, sie hüllten ihre Scham in Feigenblätter –, dafür wurden sie bestraft und hinausgeworfen. Das weiß ja wirklich jedes Kind, und so tönt es auch von jeder Kanzel. Nur in der Schöpfungsgeschichte selbst steht es ganz anders: Da werden die beiden zwar schon für den Biss in die verbotene Frucht vom HERRN bestraft, Eva und ihr Geschlecht mit den Schmerzen des Gebärens und das Dem-Manne-Untertansein, Adam und seines mit der Arbeit im Schweiße seines Angesichts.

Aber hinausgeworfen aus dem Paradies werden sie deshalb nicht. Sondern deshalb, weil es dort noch einen Baum gibt: „Und Gott der HERR sprach: Siehe Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden“ und stellte die „Cherubim“ auf „mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens“ (1. Mose 2, 22 ff.).

Zwei Tontäfelchen aus Ugarit


Darum geht es, um die Unsterblichkeit, nicht um die Ursünde. Und darum geht es auch in einem Text, der 800 Jahre vor der Genesis verfasst wurde und auch eine Schöpfungsgeschichte erzählt, in der alle Menschen von einem Urpaar abstammen. Der Text steht in Keilschrift auf zwei Tontäfelchen aus Ugarit, das war ein kanaanäischer Kleinstaat im heutigen Syrien, dort fanden sich 1929 reichhaltige Archive, gefüllt mit Verträgen, Beschreibungen von Zeremonien und Orakeln – eines las die Zukunft aus Schafslebern –, auch medizinische Texte sind dabei, einer gibt etwa Rat, wie man Vergiftungen durch Schlangenbisse heilt.

Den Text kann man aber auch ganz anders und viel tiefer lesen, zwei niederländische Religionskundler haben es getan – Marjo Korpel und Johannes de Moor –, sie haben zur Ergänzung ein zweites Tontäfelchen ausgewertet. Und präsentierten nun auf einem Kongress in Campen und in einem Buch die Schöpfungsgeschichte der Ugariter: „Adam, Eve and the Devil“ heißt das Buch, erschienen ist es bei Sheffield Phoenix Press.

Die Hauptpersonen sind also die gleichen, aber die Geschichte läuft ganz anders, sie spielt nicht in einem Monotheismus, sondern in einem reich bevölkerten Götterhimmel, erschaffen, vermutlich durch das Aussprechen von Wörtern, vom Urgott Ilu. Eine Unterwelt gibt es auch, und dazwischen liegt die Erde mit dem „Weingarten des großen Gottes“ – vermutlich dem Ararat –, dort steht der Baum des Lebens, zu ihm müssen alle Götter periodisch hin. Aber dann kommt es im Himmel zu einer Rebellion, der böse Gott Horranu lehnt sich auf gegen den guten Kirtu. Er begeht die Ursünde des Ungehorsams, dafür wird er aus dem Himmel geworfen, auf die Erde. Er ist aber noch mächtig genug, den Baum des Lebens im Weingarten der Götter in einen Baum des Todes zu verwandeln und die ganze Erde in giftigen Nebel zu hüllen. Er schafft das, indem er sich in eine Schlange verwandelt, die den Baum des Lebens mit ihrem Gift kontaminiert, daher die Verbindung des Rezepts gegen Schlangenbisse mit dem zur Rettung der Welt.

Addamu bekommt „eine gute Frau“


Letzteres beschließen die Götter in einem Rat: Einer muss hinab auf die Erde und Horranu ausschalten. Die Wahl fällt auf Addamu. Aber er schafft es nicht, er wird von der Schlange gebissen und verliert dadurch seine Unsterblichkeit, wird vom Gott zum Menschen. Aber er ist alleine. Deshalb schicken ihm die Götter eine der ihren, die Muttergottheit Kubaba, zur Seite, auch sie wird sterblich, eine „gute Frau“, so wird sie auf dem zweiten Tonscheibchen beschrieben.

Die Geschichte erinnert an viele Elemente der Bibel, von Luzifer bis zum Leviathan, aber eine Reminiszenz fehlt: „In dieser Urversion trägt Eva keinerlei Schuld“, erklärte Korpel, und Adam trägt natürlich auch keine, das Böse kommt durch eine höhere Macht in die Welt. Die sorgte auch dafür, dass die Menschen sterblich wurden, als Individuen, als Art hingegen blieben sie, auf diesen Schwenk weist Korpel hin. (Und wer die Entstehungsgeschichte nicht in der Geschichte der Schöpfung, sondern in der der Evolution geschrieben sieht, weiß auch, wie lange das Erbe dieser Unsterblichkeit schon weiter gereicht wird: Unsere Urmutter, die „mitochondriale Eva“, lebte vor 99.000 bis 148.000 Jahren, unser Urvater, der „Y-Chromosom Adam“, vor 120.000 bis 156.000 Jahren.)

800 Jahre nach dieser Urversion wurde die Genesis niedergeschrieben. Warum so anders? Darüber kann man nur mutmaßen, es wird schon Interessen und Machtkämpfe gegeben haben, das zeigt sich darin, dass es die Erschaffung des Menschen in zwei Varianten gibt: In der älteren werden Adam und Eva zugleich erschaffen, „als Mann und Frau“ (1. Mose 1, 27); in der jüngeren kommt der Mann zuerst, und dann, aus seiner Rippe, Eva (1. Mose 2, 21): „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.