Sich einbringen statt abzusahnen

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Symbolbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sozialarbeit. Trotz Durchschnittslohn und wenig Prestige ist das FH-Studium ein Hit: Warum eigentlich?

Während technische Ausbildungen mitunter um Studierende kämpfen – und dazu nicht unbeträchtliche Mittel für Werbung einsetzen – können sich Fachhochschulen, die das Studium „Soziale Arbeit“ anbieten, ihre Studierenden aus einer Vielzahl an Bewerbern aussuchen. 185 sind es etwa allein für den im Herbst anlaufenden Sozialarbeits-Jahrgang an der FH Salzburg. Und dies in einer Branche, die weder ein überdurchschnittliches Einkommen noch hohes Prestige noch „schöne“ Inhalte verspricht. Ist die heutige Jugend vom Helfersyndrom infiziert? Ist sie idealistischer als früher?

Vermittlertätigkeit

Für Sozialarbeits-Studentin Cornelia Ernst war es schlicht die Neugierde, die sie zu diesem Studium geführt hat. Die gelernte Kindergartenpädagogin hatte in ihrem Beruf schon mehrere pädagogische Zusatzdiplome erworben und bereits selbst eine Kinderbetreuungseinrichtung gegründet, als sie sich für den Bachelor „Soziale Arbeit“ entschied. „Meine Ausbildung an der Bakip hatte ich ausgeschöpft, mehr ,Karriere' wäre schwer möglich gewesen. Ich wollte mir deshalb per Studium anschauen, was es rundherum noch so gibt und wie es weitergeht, wenn die Betreuung in der Familie nicht mehr funktioniert. Das habe ich im Studium dann auch gelernt.“ Zudem sei sie auch in ihrer Kompetenz als Leiterin einer Einrichtung gestärkt worden, zum Beispiel für die unerlässlichen Verhandlungen mit Politikern, sagt Ernst.

Elisabeth Praher, Studentin an der FH Joanneum in Graz, hat sich nach der Matura und mehreren Jahren als Sekretärin aus der klassischen Motivation des Helfenwollens für ein Bachelorstudium der Sozialarbeit entschieden: „Ich habe immer wieder erlebt, dass Menschen aufgrund mangelhafter Ausbildung, Armut oder Krankheit viele Möglichkeiten und Zuwendungen verwehrt bleiben. Ich habe den Wunsch, mit meiner Ausbildung in einem Beruf tätig zu sein, in dem ich als Schnittstelle fungieren kann, als Vermittlerin zwischen den Verantwortlichen, die Leistungen anbieten oder verteilen, und jenen, die Hilfe brauchen.“

Cornelia Ernst und Elisabeth Praher stehen mit ihrer Studienwahl in zweifacher Hinsicht für einen Trend, zum einen wegen ihres Geschlechts (der Löwenanteil der Sozialarbeit-Studierenden ist weiblich), zum anderen, weil sie aus anderen Berufen kommen. „Von allen Studiengängen der FH verzeichnen wir am meisten Quereinsteiger“, sagt Hendrik Reismann, Studiengangsleiter des Bachelors „Soziale Arbeit“ und des Masters „Innovationsentwicklung im Social-Profit-Sektor“ der FH Salzburg. Viele Bewerber kämen aus Wirtschaft, Handel oder Bankwesen und wollten sich ganz neu orientieren. Gerade diese Studierenden fragten sich: Was ergibt für mich Sinn und was hat Sinn für die Gesellschaft? „Ein erheblicher Teil der Studierenden hat sehr idealistische Motive, und das ist in unserer Branche wohl auch eine unverzichtbare Triebfeder.“

Expertise gegen Ausbrennen

Gleichzeitig birgt diese Haltung das Risiko des Ausbrennens. „Wenn zum Beispiel ein junger Absolvent in einem Jugendamt zu arbeiten beginnt, hat er eine immens hohe Verantwortung und ist oft mit Menschen in sehr schwierigen Lebenssituationen konfrontiert.“ Gerade dafür brauche es unbedingt Professionalisierung.

„Die Studierenden benötigen das Handwerkszeug und müssen hochkomplexe Methoden erlernen, auch um den immer stärker werdenden Herausforderungen gerecht zu werden – den Anforderungen der Politik oder der Stadtkämmerer, den organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Problemen oder der heute immer öfter gestellten Frage nach der Wirksamkeit von Maßnahmen. Von den Veränderungen des Berufsbilds „Sozialarbeit“ weiß auch Klaus Posch, Leiter des August-Aichhorn-Instituts „Sozialarbeit & Sozialmanagement“ der Fachhochschule Joanneum, zu berichten. Ende April fand dort eine große Tagung zur Zukunft der Sozialarbeit statt. Posch spricht von vier Megatrends, die auch im Unterricht ihren Niederschlag finden sollten: vom Megatrend „Soziale Nachhaltigkeit“ (Berücksichtigung der Ergebnisse der Sozialarbeitsforschung beim Städtebau), von der zunehmenden Bedeutung der Organisationsverantwortung der Einrichtungen, vom Ausbau der Forschung und vom Megatrend „Lebensweltorientierte Beziehungsarbeit“.

Auch in Graz ist die Nachfrage hoch. Aktuell kommen auf einen Studienplatz drei Bewerbungen, dies obwohl die Frist noch zwei Wochen laufen wird. „Die Motivation der Studierenden ist ungebrochen“, sagt Posch. „Ich verstehe dieses Phänomen auch als Reaktion auf die Vernachlässigung sozialer Fragen im herrschenden neoliberalen Diskurs: Sozialarbeiter als Seismografen demokratischer Gesellschaften.“ Studentin Elisabeth Praher formuliert den gleichen Gedanken für ihre Generation: „Sie wünscht sich, gegen die Problematik der Chancenungleichheit aktiv zu werden.“ Sie selbst habe ihre Entscheidung für dieses Studium nie bereut, findet aber, dass die Stellung von Sozialarbeitern in der Gesellschaft zu hinterfragen ist.

Supervision statt Spitzenlohn

Dabei ist Sozialarbeit heute nicht mehr unbedingt als Niedriglohnjob zu sehen. Natürlich gebe es in der Sozialbranche noch immer Arbeitgeber, die bei ihren Mitarbeitern unzerstörbaren Idealismus voraussetzten. Doch durch die Kollektivverträge habe sich in dieser Hinsicht einiges verbessert, sagt Thomas Schuster, einer der Geschäftsführer des Social-profit-Vereins „Spektrum“ für Kinder- und Jugendhilfe sowie Stadtteilarbeit. „Bei uns werden zum Beispiel kaum ehrenamtliche Stunden gemacht. Darauf schaue ich als Chef sehr genau. Bei uns gibt es Sabbaticals, Bildungskarenz und Ausbrennensvorbeugung.“ Die meisten Berufseinsteiger mit Bachelor-Abschluss kämen heute – je nach anzurechnenden Vordienstzeiten – auf Gehälter von 1960 bis 2300Euro. Dazu kämen eventuelle Nachtdienstzulagen und Biennalsprünge. Schuster, der Sozialarbeit studiert hat, sieht die gute Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt außerdem als Vorteil dieses Berufs. „Man kann in der Sozialarbeit jederzeit wechseln.“

Gute Chancen hätten Zuwanderer, auch bei der Bewerbung um einen Studienplatz, sagt Schuster, der zusätzlich als Lehrbeauftragter an der FH Salzburg tätig ist. Speziell jüngere Mitarbeiter seien heute zudem mit mehr Selbstbewusstsein gegenüber dem Arbeitgeber ausgestattet als die teilweise wenig ausgebildeten Sozialarbeiter der 1980er-Jahre. Früher sei man nicht davon ausgegangen, dass ein Berufseinsteiger nachfrage, wieviel er verdienen würde. „Heute fragen junge Leute, wie die Bezahlung ist, welche sozialen Leistungen es gibt, ob sie sich individuell frei nehmen können oder ob Supervision geboten wird. Und das ist gut so.“

Web:www.fachhochschulen.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

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