Ein Kommissar auf der Warteliste

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BELGIUM EU GREEK MOTORWAYS CONSTRUCTIONS(c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET (OLIVIER HOSLET)
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Die Regierungsspitze schiebt die Entscheidung, wer nächster EU-Kommissar werden soll, bewusst hinaus. Die Motive von Kanzler und Vizekanzler sind dabei höchst unterschiedlich.

Der Job ist mit einem Grundgehalt von knapp 20.000 Euro brutto im Monat gut dotiert. Er garantiert Einfluss und doch Restbestände von Privatsphäre, weil man anders als die nationalen Minister nicht ständig im Rampenlicht steht. Gut, man muss viel reisen und die unterschiedlichsten Interessen berücksichtigen. Aber es gibt definitiv Schlimmeres, als EU-Kommissar zu sein.

Spätestens im Herbst wird die Kommission neu bestellt. An ihrer Spitze wird voraussichtlich der Luxemburger Jean-Claude Juncker oder der Deutsche Martin Schulz stehen, je nachdem, ob die Konservativen oder die Sozialdemokraten die Europawahl gewinnen.

Österreich jedenfalls wird erneut einen Vertreter in die EU-Kommission entsenden (dürfen), das Recht steht jedem Mitgliedstaat zu. Dem Vernehmen nach gibt es bereits einige Bewerber, allen voran den amtierenden Johannes Hahn (ÖVP). Allerdings wartet dieser nun schon seit Monaten auf weißen Rauch aus dem (Vize-)Kanzleramt.

Weil sich Parteichef Michael Spindelegger ziert, könnte die ÖVP, die eigentlich die besseren Karten hatte, doch leer ausgehen. Vor allem dann, wenn Spitzenkandidat Othmar Karas die EU-Wahl nicht gewinnt. Für den Fall, dass die SPÖ stärkste Partei wird, hat ihr Delegationsleiter in Brüssel, Jörg Leichtfried, im Gespräch mit der „Presse“ nämlich schon „laute Forderungen“ nach einem roten Kommissar angekündigt. Der Unterstützung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Pensionistenchef Karl Blecha kann sich Leichtfried sicher sein. Außerdem soll auch der einflussreiche linke Parteiflügel um die Gewerkschafter mit einem roten EU-Kommissar liebäugeln.

Doch Namen werden bisher kaum kolportiert. Lediglich Thomas Wieser, seinerzeit Vertrauter von Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina und heute Euro-Koordinator in Brüssel, wurde ins Spiel gebracht – ein unabhängiger, allseits geschätzter Experte, wie es heißt. „Der wird es aber nicht werden“, prophezeit ein ÖVP-naher Diplomat.

Faymanns Kalkül.
Faymann könnte intern also unter Druck geraten, wenn seine Partei die Wahl für sich entscheidet. Denn im Grunde soll der Kanzler kein gesteigertes Interesse an einem roten EU-Kommissar haben. Eher tendiere der SPÖ-Chef dazu, Johannes Hahn noch einmal seinen Segen zu geben, heißt es. Dahinter steckt natürlich Kalkül. Stellt die ÖVP den EU-Kommissar, bleibt der SPÖ ein anderer Spitzenposten, etwa der ORF-Generaldirektor. Ein bisschen soll den Kanzler auch die Sorge vor einer starken Persönlichkeit in der Kommission umtreiben.

Die ÖVP hat da schon schlechte Erfahrungen gemacht. Franz Fischler, Österreichs erster EU-Kommissar (1995 bis 2004), zuständig für Landwirtschaft, hat die heimische Regierung selten bis nie verschont – und mit ihr auch die eigene Partei. Im Sanktionsjahr 2000 ließ er seine Parteifreunde wissen, wie sehr er die Koalition mit Jörg Haiders FPÖ verabscheue. Eine Entfremdung war die Folge, auf beiden Seiten. Daraus hat auch die ÖVP, die alle bisherigen Kommissare gestellt hat, ihre Lehren gezogen. Benita Ferrero-Waldner, von 2004 bis 2010 für die EU-Außenpolitik zuständig, und Hahn, mit dem Dossier Regionalpolitik betraut, waren deutlich verhaltensunauffälliger als Fischler.

Eine wesentliche Anforderung für eine Vertragsverlängerung hätte Hahn also erfüllt. Er habe auch schon Signale in diese Richtung vernommen, meinte der frühere Wissenschaftsminister vor Kurzem. Bisher hat sich aber nur Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl öffentlich für ihn ausgesprochen. Aus der ÖVP heißt es noch immer, Spindelegger habe sich noch nicht festgelegt. Auch dafür scheint es gute Gründe zu geben. Einen weiteren Interessenten namens Othmar Karas zum Beispiel, der mit einem Wahlsieg tatsächlich ein gutes Argument auf seiner Seite hätte.

Und dann wäre da noch dieses Gerücht: Spindelegger selbst soll sich eine kleine Hintertür offen halten, einen Notausgang nach Europa, falls er – nach einem schlechten Wahlergebnis – als Parteiobmann abgelöst wird. Im Umfeld des Vizekanzlers wird das freilich heftigst dementiert: Für diese Behauptung gebe es keinerlei Grundlage.

Fahrplan

27.Mai: Am Vormittag treffen sich EU-Parlamentspräsident und die Fraktionsvorsitzenden
zum Arbeitsfrühstück, um über das Wahlergebnis zu beraten, am Abend tagen die EU-
Staats- und Regierungschefs.

23.Juni: Stichtag für die Konstituierung der politischen Gruppen im EU-Parlament.

26.Juni: Die Staats- und Regierungschefs sollen sich
beim EU-Gipfel auf Kandidaten für den Posten des
Kommissionschefs einigen.

1. Juli: Erste Sitzung des neuen EU-Parlaments.

14. Juli: Zweite Plenarrunde, Votum über den Kandidaten des Rats erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2014)

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