„Fidelio“: Ja, so schwierig ist Beethovens Oper

FIDELIO, VOLKSOPER
FIDELIO, VOLKSOPER(c) APA/BARBARA PALFFY/VOLKSOPER (BARBARA PALFFY/VOLKSOPER)
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Der erste „Fidelio“ seit 1941 an der Volksoper ist musikalisch respektabel gelungen, wenn auch kaum elektrisierend. Doch die Inszenierung steht sich immer wieder selbst im Weg.

Alles eine Frage des Maßstabs: Wenn die Volksoper selbstbewusst ein Stück ansetzt, das in einer Schenk-Regie zum ständigen Repertoire der Staatsoper gehört und vor einem Jahr auch im Theater an der Wien in einer außergewöhnlichen Produktion auf dem Spielplan gestanden ist – fordert sie dann mutig ihre „Konkurrenten“ heraus? Oder muss sich jeder Musikfreund darüber im Klaren sein, dass am Gürtel doch mit mehr Wasser gekocht wird?

Nun, wer bereit war, seine Ansprüche zurückzuschrauben, für den lautete die bessere Nachricht am Sonntag: Musikalisch ist dieser erste Volksopern-„Fidelio“ seit 1941 respektabel gelungen. Dirigentin Julia Jones hat mit dem guten Orchester fernab von Originalklangzuspitzungen eine auf der Tradition fußende, schlüssige Lesart der Endfassung von Beethovens hymnischem Opernschmerzenskind erarbeitet. Sie wählt vernünftige Tempi und sorgt für dynamische Verhältnisse, die die Sänger nicht in Bedrängnis bringen und dabei genügend Raum geben, manch ungewöhnliches Detail der Partitur hervorzukehren, ohne die Homogenität des Klangbilds zu stören.

Stonikas: Recht einförmig

Dass der Abend insgesamt mehr gediegen als elektrisierend abläuft, kann sich bei den folgenden Vorstellungen ja noch ändern. Dann singt sich möglicherweise auch die US-Sopranistin Marcy Stonikas noch frei, die als Leonore ihr Europadebüt absolviert: Sie verfügt über alle Töne und auch ausreichend Volumen, klingt aber stellenweise gequetscht und trägt die Partie noch recht einförmig vor. Dafür punktet sie darstellerisch, wenn sie in der Arie kurze Zeit nicht nur ihr Männerhemd, sondern auch jenes Tuch darunter ablegt, mit dem sie sich die Brust flach bindet – ein glaubwürdiger Moment der Erschöpfung und der dringend nötigen Pause von ihrem männlichen Inkognito Fidelio, als der sie mit der etwas schrillen Rebecca Nelsen als Marzelline notgedrungen zärtliche Küsse tauscht.

Sonst steht sich, und das ist die schlechte Nachricht, die Inszenierung zumindest im ersten Akt immer wieder selbst im Weg – durch das ungünstige Bühnenbild Robert Schweers und die vor allem in den Dialogen kaum auszumachende Regie Markus Bothes, die zudem viele Ungereimtheiten enthält. Dass die anfänglichen Singspielszenen in einer grellen Schrebergartenidylle vor einer riesigen Wolkenhimmelwand ablaufen, betont deren unwirklichen, die Realität verleugnenden Charakter. Doch fehlt der szenische Kontrapunkt: Der Eindruck wäre stärker, stünde das weiße Lattenzäunchen etwa zwischen Wachtürmen.

Gefängnis rein unterirdisch

Das Gefängnis liegt hier aber rein unterirdisch und ist nur über u-boot-artige Luken im Boden erreichbar. Das spart Personal: Zum zackigen Marsch, in dem das Kontrafagott bedrohlich grummelt, rückt nicht etwa ein Soldatentrupp an, sondern hat Rocco bloß die Füße bequem hochgelegt, wackelt mit den Zehen und wartet, bis Marzelline und Fidelio den Tisch gedeckt haben – ein dramatischer Kontrast zwischen Musik und Szene? Nein. Der Kellerknast mag seinen psychologisch-symbolistischen Sinn haben, ist aber optisch das Gegenteil von Suspense: Keine Spur von lauernder Bedrohung durch eine anonyme Staatsmacht – weil nämlich noch dazu der stumpf singende, vor allem viel zu brave Thomas Paul die Aufwertung des Jacquino zum Macho, speichelleckenden Karrieristen und potenziellen Vernaderer, der am Schluss Pizarro beerbt, nicht glaubwürdig machen kann.

Überhaupt sind die bearbeiteten Dialoge ein Problem: Sprachlich an die Gegenwart herangeholt, erweisen sie sich für die schauspielerisch sehr inhomogene Besetzung als besonders schwierig – etwa für Stefan Cerny, der gewiss über keinen üppigen, schwarzen Bass verfügt, aber sein schlankes Material durchaus gut einsetzt. Am besten kann Sebastian Holecek mit dem Sprechtext umgehen und zudem, kleinen rhythmischen Schwächen zum Trotz, die Gewaltbereitschaft des Pizarro auch stimmlich untermauern. Er stellt den Bösewicht im dreiteiligen dunklen Anzug mit Krawatte und Mantel als brutalen Business-Choleriker mit drohendem Realitätsverlust dar: Der szenisch eliminierte Soldatenchor in seiner Arie kommt, als wären es seine inneren Stimmen, aus dem Graben.

Besser gelingt der zweite Akt, in dem das Bühnenbild den untersten Kerker wie einen Korken eindrucksvoll nach oben holt, wo Roy Cornelius Smith als Florestan schmachtet und quasi naturalistisch singt, nämlich wie aus vertrockneter, wunder Kehle. Dort gewinnt auch die Regie an Profil und lässt Roccos große Stunde schlagen: Zum Trompetensignal schon wechselt er klar die Fronten und hält Pizarro gleichfalls eine Pistole unter die Nase.

Chor: Grau in grau

Zur „Namenlosen Freude“ schraubt sich der Kerkerturm wieder in die Erde, während das wiedervereinte Paar die Wendeltreppe emporwankt, um pünktlich zum Finale an die Oberfläche zu gelangen: Die gelungene offene Verwandlung macht die gern eingeschobene dritte „Leonoren“-Ouvertüre überflüssig. Aber welches Regime ist da inmitten rotierender, eine Wende vorgaukelnder Wände an der Macht, das der leichtgewichtig-blasse Günter Haumer als Minister repräsentiert? Die graue Einheitskostümierung des wackeren Chors deutet auf Totalitarismus hin – und Leonore kann nicht verhindern, dass Pizarro mit dem letzten C-Dur-Akkord guillotiniert wird: ein konsequentes Ende nach szenischen Fehlgriffen und musikalischem Mittelmaß.

Die nächsten Vorstellungen: 28. und 30. Mai, 1., 6. und 11. Juni, 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)

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