Schlösser, Apps und grünes Licht: Start-ups nur für Radfahrer

Daniel Kofler hat eine Navigations- App nur fürs Fahrrad entwickelt.
Daniel Kofler hat eine Navigations- App nur fürs Fahrrad entwickelt. Stanislav Jenis
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Sie entwickeln Fahrradschlösser, die sich mit dem iPhone kontrollieren lassen und Apps, die die Grünphase für die nächste Ampel berechnen. Ideen rund ums Rad sind für Start-ups schon länger interessant.

Einmal in der Woche schaltet der Firmenchef das Handy auf lautlos und arbeitet als Tagelöhner bei einem anderen Unternehmen. Daniel Kofler, Grazer, 29 Jahre alt, Studienabbrecher und Gründer des international tätigen Start-ups Bikecity-Guide meldet sich dann zum Dienstantritt in der Fahrradkurier-Zentrale, wo er sich eine Tasche und ein Funkgerät abholt. Er schwingt sich auf sein Rennrad und fährt von Auftrag zu Auftrag. Rund 15 Euro bringt der Nebenjob pro Stunde, ein Zubrot, das kaum ins Gewicht fällt. Aber ans Aufhören denkt Kofler nicht. Er fährt, weil es ihm Spaß macht.

Seine eigene Firma vertreibt Navigationsgeräte für Radfahrer. 15 Mitarbeiter, ein Vorjahresumsatz von 330.000 Euro, heuer sollen es noch deutlich mehr werden. Aber Geld, behauptet der junge Gründer, bedeute ihm wenig. Kofler betrachtet sich als grünen Missionar, der so viele Menschen wie möglich zum Radfahren animieren möchte. Nicht nur der Umwelt wegen. Rad fahren, meint er, sei für ihn die höchste Form der Freiheit: „Man hat den Kopf frei von allen Zwängen, weil man nur an den nächsten Auftrag denkt.“ Umso besser, wenn sich die Weltverbesserung – zumindest hauptberuflich – rechnet.

Noch ist Österreich weit davon entfernt, eine Fahrradland zu sein. Gerade einmal sechs Prozent der Wiener nutzen das Rad regelmäßig als Verkehrsmittel; in Koflers Heimat Graz sind es immerhin 14 Prozent. Kein Vergleich mit Städten wie Kopenhagen oder Amsterdam, wo jeder Zweite mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Doch auch hierzulande bringen steigende Spritpreise und der Ausbau innerstädtischer Radwege mehr und mehr Menschen zum Umdenken. Der Trend lässt einen neuen Nischenmarkt entstehen, den gewitzte Jungunternehmer zu nutzen wissen.

Ein Plan für die Stadt. Koflers Start-up Bikecity-Guide gehört zu den erfolgreichsten der Branche. 150.000Mal wurde die Handy-App bisher heruntergeladen. Der Fahrrad-Routenplaner hat neben allen größeren österreichischen Städten auch europäische Metropolen wie Paris, Berlin, Brüssel oder Madrid im Angebot. „Das funktioniert wie ein Container“, sagt Kofler. Die kostenlose App für iPhone und Android kann mit Stadtplänen gefüllt werden, zu 4,49 Euro pro Stück. Einige Städte, darunter seine Heimat Graz, sind von der Idee so angetan, dass sie die Kosten übernehmen. Dann ist der virtuelle Stadtplan für Radfahrer gratis.

Der junge Mann ist auf Durchreise in Wien, früh am nächsten Morgen geht sein Flugzeug nach Kopenhagen, wo er auf einer Konferenz zum Thema nachhaltige Verkehrspolitik sprechen soll. Es ist früher Abend, Kofler sitzt vor dem Café Westend und bestellt ein kleines Bier. Der Ober mustert den jungen Mann skeptisch. „Wollen Sie nicht gleich ein großes Bier?“, fragt er. „Ich habe gesagt ein kleines“, sagt Kofler freundlich, aber bestimmt. Man soll sich von den langen Haaren und der Umhängetasche nicht täuschen lassen. Er weiß ziemlich genau, was er will.

Vor drei Jahren studierte der junge Vater noch Umweltsystemwissenschaften und jobbte als Fahrradbote, um den Lebensunterhalt für seine kleine Familie aufzubringen. Die Familienkutsche, einen alten Renault, hatte er längst verkauft, Tochter Amelié chauffierte er mit einem Radanhänger. Dass er schon damals mit seiner Leidenschaft Geld verdiente, war kein Zufall.

Mit einer Handvoll Kollegen hatte er eine Geschäftsidee, die er im Frühling 2011 umsetzte. Navigationsgeräte für Autofahrer gab es bereits wie Sand am Meer. Aber für Radfahrer? Was, wenn er sein Profi-Wissen über die Verkehrssituation in Graz, über Abkürzungen und Hindernisse für Radfahrer nutzbar machen könnte? Sein Wohnungskollege war Softwareentwickler, er programmierte eine Handy-App auf Grundlage der freien Internet-Landkarte „Open Street Map“. Durch die Satellitenortung funktionierte das auch ohne Internet. Die Gründer warfen ihre Ersparnisse zusammen, von Fremdfinanzierung wollten sie in der Anfangsphase nichts wissen. Das Startkapital: bescheidene 1500 Euro.

Expansion geplant. Inzwischen werden Genussscheine (das sind Unternehmensanteile ohne Mitbestimmungsrecht) des Start-ups bei der Crowdinvest-Plattform Green Rocket vertrieben. Ab 250 Euro können sich Investoren beteiligen. In den ersten beiden Wochen kamen mehr als 40.000 Euro zusammen, bei 150.000 soll Schluss sein. Mit dem Geld will Kofler die Expansion vorantreiben. Denn dass die internationale Konkurrenz nicht schläft, weiß auch er. Demnächst soll ein Update auf den Markt kommen, das Ampelschaltungen berücksichtigt. „Man bekommt dann ein Signal, ob man mit der aktuellen Geschwindigkeit die nächste Grünphase erreicht“, sagt Kofler.

Denn die Grazer sind mit ihrem speziell auf Fahrräder abgestimmten Angebot freilich nicht ganz konkurrenzlos. Die Onlineplattform Bikemap (mitgegründet vom Wiener Helge Fahrnberger) sammelt etwa weltweit Radtouren, die die Nutzer selbst eintragen können. Darauf finden sich Wege von Wien bis zum Schwarzen Meer. Das deutsche Unternehmen Komoot liefert ebenfalls Rad- und Wandertouren. Der von den östlichen Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland forcierte Routensucher „A nach B“ ist wiederum wie die Bikecity-Guide als Städtenavigationsgerät praktisch – allerdings gibt es keine Live-Navigation. Auch Google hat das Radfahren längst entdeckt und berechnet Radrouten in Google Maps, allerdings sind die Routenvorschläge oft nicht auf die Fahrradwege abgestimmt.

Von übertriebenem Wettbewerbsdenken kann in der jungen Zweirradbranche dennoch keine Rede sein. In der Start-up-Nische kennt beinahe jeder jeden. „Die Szene ist so klein, dass die meisten Unternehmen freundlich miteinander umgehen und kooperieren“, sagt Florian Pollack. Der Jurist arbeitete jahrelang in der Telekom-Branche, ehe auch er sein Hobby zum Beruf machte. Im Vorjahr gründete er mit seiner Partnerin Beate Hauser Goodville (gute Stadt). Das Unternehmen betreibt einen Dienstfahrrad-Fuhrpark für Unternehmen und berät Firmenchefs dabei, wie sie Mitarbeitern den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad schmackhaft machen können. Zum Kundenstock gehören Merkur und das Nobelhotel Palais Hansen Kempinski, das bei Goodville einen maßgeschneiderten Radfuhrpark für Angestellte und Gäste in Auftrag gab.

Mitarbeiter aufs Rad bringen. Auch Goodville verbindet eine kräftige Portion Sendungsbewusstsein mit Geschäftstüchtigkeit. Zehn Mitarbeiter hat das Unternehmen, der Umsatz sei im Vorjahr sechsstellig gewesen, erzählt der Firmenchef. Die Gründung des Unternehmens war wohldurchdacht. Pollack: „Der Trend hin zum Fahrrad ist vor einigen Jahren weltweit explodiert. Wir haben uns angesehen, wer die Player sind, und welche unbearbeiteten Felder es gibt.“ Man verkaufe eben auch ein Image: „Tue Sympathisches und leide nicht darunter.“

Freilich: Dass Radfahrer auch Probleme haben, zeigt die Zahl der Diebstähle. In Wien werden im Schnitt pro Tag 24 Drahtesel gestohlen – mit oder ohne Schloss. Darauf hat die Firma Locca aufmerksam gemacht. Das kleine Wiener Start-up mit fünf Mitarbeitern will bis Sommer ein elektronisches Radschloss auf den Markt bringen. „Wir sind in der letzten Testphase“, sagt Geschäftsführer David Schalkhammer. Kernstück ist eine bewegungsempfindliche, fix montierte Halterung am Fahrradrahmen. Vergreift sich ein Fremder am Rad, wird eine Sirene ausgelöst und eine Meldung an das Smartphone des Besitzers gesendet. Sollte sich der Dieb von der Alarmanlage nicht abhalten lassen, kann das Rad wie ein verlorenes Handy geortet werden.

Locca stellt seit zwei Jahren Alarmanlagen für Taschen, Rucksäcke und Haustiere her, das Radschloss sei aber weitaus „ausgetüftelter“, sagt Schalkhammer. Das Interesse an dem Bikealarm war schon im Vorfeld groß: Bei einer Crowdfounding-Aktion für das Produkt kamen 80.000 Euro zusammen. Die neue Branche trifft einen Nerv.

In den Daniel Kofler aus Graz voll hineingeraten ist. Er würde ja gerne noch Stunden über das Radfahren reden, aber der nächste Termin wartet. Der Jungunternehmer muss jetzt in sein Hotelzimmer, um eine Skype-Konferenz mit einem Gesprächspartner am anderen Ende der Welt abzuhalten. Ein wenig, erzählt Kofler, vermisst er schon die Freiheit, die er als Vollzeit-Fahrradbote hatte.

RadFirmen

Bikecity-Guide. Navigationsapp nur fürs Fahrrad. Radwege und Nebenstraßen werden bevorzugt, verkehrsreiche Hauptstraßen gemieden. bikecityguide.org

Locca. Das Wiener Start-up arbeitet gerade an einem neuen Fahrradschloss, das sowohl als Alarmanlage dient, als auch das Fahrrad bei Diebstahl ortet. locca.com.

Goodville. Florian Pollack und Beate Hauser beraten Firmen, wie sie ihre Mitarbeiter zum Radfahren bewegen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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