Winterreise: Wenn es Winter wird in Südafrika

(c) Wiener Festwochen
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Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser gestalten anlässlich der Wiener Festwochen einen musikalisch intimen Schubertabend zu Bildfolgen von William Kentridge.

Kunstkenner werden das wahrscheinlich mögen. William Kentridge, dem lauten Applaus nach zu schließen sehr berühmt in der Bildner-Szene, hat für die Wiener Festwochen die „Winterreise“ von Franz Schubert ausgestattet. Die Spezialität des südafrikanischen Künstlers, auch Ignoranten wie der Schreiber dieser Zeilen erfuhren das aus vielen Presse-Aussendungen, sind handgezeichnete Filme, aus vielen, vielen kleinen Bildern zu aparten cineastischen Vignetten zusammengefügt.

Für die 24 Lieder aus dem berühmten Schubert-Zyklus ergeben sich auf diese Weise 24 Filmsequenzen, die parallel zur Live-Aufführung via Computer-Animation abgespielt werden. Es seien alle beruhigt, die Angst haben, ein solch illustratives Unterfangen könnte zu einer peinlichen oder gar kitschigen optischen Überdefinition des von Wilhelm Müller textlich, vom Komponisten musikalisch schon recht anschaulich beschriebenen seelischen Leidenswegs eines abgewiesenen Liebenden werden.

Es kann gar keine Rede sein von einer Illustration der Geschichte, die uns Sänger und Pianist – diesfalls Matthias Goerne und Wiens Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser höchstselbst am Klavier – erzählen. William Kentridge paraphrasiert nicht Müller bzw. Schubert, sondern offenbar sein eigenes Schaffen, er zitiert sich, wie er im Programmheft bekennt, gern selbst und montiert ältere Arbeiten zu einer neuen, größeren Einheit.

Also bekommt man derzeit in der Halle E des Museumsquartiers eine verblüffende Abfolge von laufenden Bildern abstrakter und gegenständlicher Natur zu sehen, eine Mixtur von Naturstimmungen, wogenden Lineamenten, karikaturartigen Szenen aus dem südafrikanischen Badezimmerleben zwischen Weißen und Farbigen, Traum- und Alptraumsequenzen von schwebenden Haken und Galgenstricken. Auch allerlei schräg montiertes Videomaterial aus Kriegszeiten ist dabei, inklusive stürmenden Soldaten und explodierenden Granaten.

Der banale Krieg im Wirtshaus

Diese martialische Komponente des Gesamtkunstwerks entfaltet sich erst gegen Ende der Liederreihe, dort wo vom „Wegweiser“ gesungen wird und dann vom „Wirtshaus“, dem Friedhof, nicht einmal der will ja den traurigen Wandersmann beherbergen, der weiterziehen und weiterziehen muss – diesmal auch durch die Bilderflut des William Kentridge. Was diese mit der „Winterreise“ zu tun hat, fragen sich alle nicht vernissageaffinen Besucher des Festwochen-Konzerts von vorgestern vermutlich noch heute.

Eine Antwort erhoffen sie sich hoffentlich nicht vom „Presse“-Rezensenten, der nach dem Besuch der Veranstaltung so klug ist wie zuvor und sich auf die nächste „Winterreisen“-Darbietung im altmodischen Konzert-Ambiente freut.

Selbiges ist, das weiß man ja längst, eine lohnende Aufgabe für zwei Musikanten. Wobei das Epitheton diesmal wirklich wörtlich zu nehmen ist, denn im Spiel des Festwochen-Intendanten hält sich ein Hauch von jenem intimen, gar nicht vordergründigen, gar nicht auf Effekt bedachten Interpretentum, das uns in die Hausmusik-Atmosphäre des Biedermeier zurückversetzen kann.

Matthias Goerne kann sein ausgefeiltes Konzept über solch uneitler Begleitung nach Herzenslust präsentieren, evoziert alle Bilder, die man zum richtigen Verständnis der „Winterreisen“-Poesie braucht, mit vokalen Mitteln: hier flüsternd, da ganz nach innen gewandt, dann wieder verzweifelt in eine Welt hineinrufend, die vom persönlichen Leid des Einzelnen gar nichts wissen will.

Vielleicht ist es das: Die Filmchen des William Kentridge suggerieren uns jene teilnahmslose Parallelität der Existenz-Ebenen, in denen sich ein sensibler Geist völlig verlieren kann. Das läuft ja alles wirklich gleichzeitig ab, die Banalität des Tagesbetriebes, die Grausamkeit des Krieges, die unendliche Wiedergeburtsfähigkeit der Natur; zwischendrin das patscherte Leben. Zum Verzweifeln – und auch wieder nicht, denn es geht ja alles seinen gewohnten Trott. Hinterhäuser könnte gleich noch einmal anfangen mit der gehenden Achtelbewegung von Lied Nr. 1, fremd zieht man immer wieder aus...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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