Klestil: Die Zäune waren ihm zu hoch

KRANZNIEDERLEGUNG ANL. DES 10. TODESTAGES VON BUNDESPRAeSIDENT THOMAS KLESTIL: KLESTIL-LOeFFLER / FISCHER
KRANZNIEDERLEGUNG ANL. DES 10. TODESTAGES VON BUNDESPRAeSIDENT THOMAS KLESTIL: KLESTIL-LOeFFLER / FISCHER(c) APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER
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Vor zehn Jahren endete die zweite Amtsperiode Thomas Klestils dramatisch. Herzstillstand vier Tage vor der Amtsübergabe – ein Unangepasster stieß an seine Grenzen.

Am 5. Juli 2004, es ist ein Montag, hat Bundespräsident Thomas Klestil (71) einen unangenehmen Vormittagstermin, der ihn stark belastet. Sein Verhältnis zu den Zeitungen hatte sich in den zwölf Jahren seiner Amtsführung ständig verschlechtert, heute will – muss – er seine Abschiedspressekonferenz geben. Denn am Donnerstag endet seine Amtszeit. Nachfolger Heinz Fischer von der SPÖ ist bereits im Mai gewählt worden, der schwerkranke Klestil will sich dann in seine Privatvilla in der Hietzinger Wenzgasse zurückziehen. Warnzeichen einer Herzschwäche hat es zwar schon gegeben, aber die geplante Untersuchung will das Staatsoberhaupt erst nächste Woche, nach seiner Amtsübergabe, über sich ergehen lassen.

Der Chauffeur wartet schon, um den Präsidenten in die Innenstadt zu bringen. Auch die Sicherheitsbeamten im zweiten Auto. Wie jeden Tag, Routine. Dann kommt Klestil, im Vorgarten bricht er zusammen. Herzstillstand. Die Sicherheitsbeamten laufen zum Auto, bringen den Defibrillator, Margot Klestil-Löffler verständigt die Rettung. Es ist 8.44 Uhr. Um 9.04 Uhr fliegt der Notarzthubschrauber mit dem Patienten bereits ins AKH, drei Minuten später ist man dort. Ein Ärzteteam kämpft um das Leben des Mannes. Zweimal an diesem Vormittag gilt er als klinisch tot, man versetzt ihn in künstlichen Tiefschlaf. Primarius Wolfgang Graninger bezeichnet der „Presse“ gegenüber den Zustand als „sehr kritisch“. Am Montagabend spendet Kardinal Christoph Schönborn dem Bewusstlosen die Krankensalbung.

Multiorganversagen

Den ganzen Dienstag hindurch bangt Österreich um das Leben des Prominenten. Auch das „offizielle“: Politiker aller Couleur finden sich am frühen Abend im Stephansdom ein, wohin sie der Wiener Erzbischof gebeten hat. Die Aussagen der Mediziner klingen von Stunde zu Stunde düsterer. Ein Multiorganversagen kündigt sich an.

Kurz vor Mitternacht dann die Mitteilung aus dem Allgemeinen Krankenhaus: Der Präsident ist tot, eine Rettung war unmöglich. Thomas Klestil wird am Donnerstag keine Abschiedsfeier mehr miterleben können. Heinz Fischer beginnt so sein Amt mit einem Staatsbegräbnis für den Vorgänger.

Erst nach und nach wird bekannt, dass der Bundespräsident schon seit Jahren chronisch krank gewesen ist. 1996 begannen seine Lungenprobleme, damals wurde er erstmals in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Ein Arzt vermutete eine „interstitielle Pneumonie“, ein anderer vermutete „progressive systemische Sklerodermie“, eine unheilbare Erkrankung, bei der das Immunsystem das Bindegewebe angreift.

Doch wenig später amtierte er in seinem gewohnten Tempo weiter, und das war hoch, wie sein Pressechef Hans Magenschab berichtete, der diese Hektik zehn Jahre lang durchhielt. Zu hoch, wie sich schließlich herausstellen sollte.

„Nie werden wir erfahren, wie weit der Streik seines Herzschlags psychosomatisch zu erklären ist. Wir wissen nicht, wie weit ihn Angst vor der Leere der Pension bedrückt hat“, schrieb diese Zeitung am Tag der Todesmeldung, „oder wie sehr er seine letzte – und seit Jahren einzige – Pressekonferenz gefürchtet hat, bei der auch unangenehme Fragen gedroht haben.“

Dabei konnte Thomas Klestil viele Erfolge erzielen. Er war ein brillanter Diplomat, er hat dann als Präsident einen wichtigen Schwerpunkt in Mitteleuropa gesetzt. Die Zusammenkunft der zentraleuropäischen Staatspräsidenten gibt es immer noch. Er hat 1992 einen der sensationellsten Wahlsiege erzielt, von dem die Volkspartei heute nur träumen kann, und er hat damals selbst im roten Wien den SP-Kandidaten besiegt (Rudolf Streicher).

Das Neue an Klestil bei seinem Amtsantritt: Er war der erste junge Präsident, einer, der nicht durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg geprägt war. Ein Mann der Nachkriegsgeneration, ein Mann mit großer Dynamik. Ausdruck dafür war sein Wahlkampfslogan „Macht braucht Kontrolle“. Dennoch ist Klestil in tragischer Weise an seinem Amt zerbrochen. Nicht nur, weil das in US-Manier projizierte Image eines perfekten Familienglücks nicht mit der Realität konform ging. Die Art und Weise, wie der Privatmann Klestil das Scheitern seiner Ehe ausgerechnet einem illustrierten Wochenblatt darlegte, die musste verstören.

Dabei übten sich die Medien ohnehin seit Jahr und Tag in Diskretion, was die heimliche Geliebte betraf. Schwerer wog der verlorene Machtkampf mit Bundeskanzler Franz Vranitzky 1994. Klestil beanspruchte für sich, Österreich gegenüber der EU zu vertreten, Vranitzky bremste ihn höchst effektiv aus.

Dann die Auseinandersetzung mit dem Parteifreund Wolfgang Schüssel. Verzweifelt suchte der Präsident Varianten, um die SPÖ mit Viktor Klima und die Volkspartei in eine neue Koalition zu zwingen. Es gelang nicht. Die Zwickmühle, in der er sich ab dem Jahr 2000 befand, war offensichtlich. Er musste die blau-schwarze Koalitionsregierung angeloben, machte aber deutlich, wie sehr er das Spiel Wolfgang Schüssels mit Jörg Haider ablehnte. Drei Möglichkeiten gab es – theoretisch: den eigenen Rücktritt, die Verweigerung der Angelobung, die Auflösung des Nationalrats. Er scheute aus gutem Grund jede der drei Möglichkeiten. Was ihm aber zustand, das nützte er: Jörg Haider als Vizekanzler lehnte er ab, dessen frühere Pressesekretärin musste einspringen; und zwei Ministerkandidaten der FPÖ lehnte er ebenfalls ab. Doch sein Scheitern bei der Verhinderung von Schwarz-Blau steht bis heute symbolisch für seine Amtszeit: Er ist letztlich an der Diskrepanz von Wollen und Können zerschellt.

Klestil hat damals zweifellos aus honoriger Motivation gehandelt: Als Diplomat war ihm klar, welches Echo es im Ausland geben werde. Und er konnte daher nicht antworten, was ein Repräsentant Österreichs hätte antworten müssen: Man verbitte sich jegliche ausländische Einmischung in die österreichische Politik.

Unsinnige Sanktionen

Es kamen die diplomatischen Sanktionen der EU-Staatenfamilie, Klestil war ohnmächtig. Ausländische Regierungschefs beriefen sich sogar vor ihren Parlamenten auf Klestil, diesem waren die Hände gebunden. Wie wir heute wissen, haben die Sanktionen nicht gefruchtet und mussten nach einem halben Jahr kleinlaut zurückgenommen werden. Es war ein Sieg Schüssels über den Bundespräsidenten, der nicht zum ersten Mal schmerzlich erkennen musste, dass seine verfassungsrechtliche Position nicht den realpolitischen Möglichkeiten entsprach.

Er wollte gestalten, wäre viel lieber Außenminister geworden, wollte das Amt anders als seine Vorgänger akzentuieren. Die freilich arrangierten sich mit den eng begrenzten Möglichkeiten: Rudolf Kirchschläger, weil er gelernter Richter war, Kurt Waldheim, weil man ihm sowieso keine Chance ließ. Heinz Fischer, der Klestil nachfolgen sollte, war Verfassungsrechtler und Uni-Professor. Er kam aus der Verwaltung. Darauf gründet sich auch sein Amtsverständnis.

Klestils vermeintliche Schwäche hatte aber auch ihr Gutes: Erstmals sah man da einen Bundespräsidenten als einen ganz normalen Menschen. Nicht als Übervater, den viele Österreicher heute noch gern hätten. Dieses Zurücknehmen auf vernünftige Maße hat ohnehin Jahrzehnte gedauert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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