Auch ohne den Triumph der Seleção ein Erlebnis

FUSSBALL - FIFA WM 2014, BRA vs GER
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Jede Fußball-WM hat Highlights und Enttäuschungen, die WM in Brasilien hatte Beißer, Referees, Abseits, müde Spanier, inferiore Engländer – aber Saltos, Goal Line, Spray, Neymar und viel Flair.

James Rodríguez ist das Gesicht dieser WM. Außer Experten und Monaco-Fans kannte den Kolumbianer in Europa kaum jemand. Dank seiner sechs Treffer ist der 22-Jährige heiß begehrt. Für die Monegassen ein Jackpot – Marktwert: von 50 Millionen Euro aufwärts.

Miroslav Klose avancierte in Brasilien zum besten WM-Torschützen der Geschichte. Der 36-Jährige hält vor dem heutigen Finale bei 16 Toren und ließ den Brasilianer Ronaldo (15) hinter sich.

7:1! Dieses Halbfinalspiel ist unvergesslich. Deutschland zerlegte die Seleção nach Belieben. Müller, Klose, Kroos (2), Khedira und Schürrle (2) sorgten für ein Ergebnis, das den Weltfußball bewegte – und Brasilien in Trauer stieß.

Costa Rica: Das schaffte noch kein anderes Team bei einer WM: drei Ex-Weltmeister in der Gruppe, und alle gedemütigt. Los Ticos gingen erst im Elfmeter-Krimi im Viertelfinale gegen Oranje in die Knie.

Neymar: Er sollte Brasilien retten und bei der Heim-WM zum sechsten Titel führen. Er schoss vier Tore – wurde aber bei seiner Mission jäh durch ein Brutal-Foul des Kolumbianers Zúñiga gestoppt. Bruch des Lendenwirbels, eine Nation weint mit ihm. Er ist der tragische Held dieser WM. Er sagt: „Wenn er mich zwei Zentimeter weiter in der Mitte getroffen hätte, dann könnte ich heute im Rollstuhl sitzen.“

Tore: Kein Gestocher, kein Ballhalten – die Rückkehr des Offensivfußballs wurde zelebriert. 2,83 Tore pro Spiel fielen im Schnitt in der Gruppenphase. 2010 in Südafrika waren es nur 2,10 Treffer. Vier Elferschießen in der K.-o.-Phase drückten aber den Schnitt.

Zuschauer: Die Fans sorgten bei der WM in Brasilien für farbenfrohe, zumeist gewaltfreie Stimmung. Auch für manch Taschendieb waren sie die besten Gäste, ihre Freudenfeiern auf den Prachtstraßen von São Paulo oder an der Copacabana waren ein Muss.
Goal Line und Spray: Tor oder nicht Tor – diese Frage ist endgültig Geschichte bei einer Fußball-WM, sofern unbelehrbare Bürokraten in der Fifa nicht doch noch einen Rückzieher machen. Die Torlinientechnik ist ein Gewinn, ebenso der Spray der Referees. Das lästige Herumzupfen an der Menschenmauer oder das sinnlose Ballvorlegen ist vorbei – es sind visuelle Hilfen für Schiedsrichter und Fans.

Luis Suárez: Uruguays Stürmer schoss England im Alleingang ab und wurde gefeiert. Dann biss er dem Italiener Chiellini in die Schulter – die Fotos der Bissspuren gingen um die Welt. Er erntete dafür Spott im Internet, Sponsoren sprangen ab. Die Fifa musste reagieren, der Übeltäter wurde gleich für vier Monate gesperrt. Er polarisiert, wird in der Heimat geliebt – und seit Freitag als Neuzugang in Barcelona gefeiert.

Seleção: ständiges Gezeter, Geschrei und Geheule. Und dann das 1:7-Desaster gegen Deutschland. Die Abwehr rund um David Luiz war eine Gemeinheit. Rekordchampion Brasilien fand bei der Heim-WM letztlich nie richtig ins Turnier und ist der große WM-Verlierer.

Afrika: Auch der nächste Weltmeister kommt unter Garantie nicht aus Afrika. Algerien (stark gegen Deutschland) und Nigeria kamen zwar ins Achtelfinale, sonst gab es erneut nur die üblichen Negativklischees mit Boykott, Prämienstreit, Korruptionsverdacht.
Referees: Foul-Festival, Treter-WM und Abseits-Nachschulung. Die Unparteiischen zerstörten viele WM-Spiele durch das Dulden harter Fouls (es gab nach 62 Spielen nur sieben Rote Karten) und dem Aberkennen regulärer Tore. Das Foul an Neymar wurde übersehen, auch der Biss von Suárez. Ellbogenchecks passierten oft, auch Schwalben hatten Hochsaison.

Asien: null Siege, kein Team in der K.-o.-Runde. Asien ist der Verliererkontinent der WM. Wer geglaubt hat, Klima und Spielstil würden Japan oder Südkorea entgegenkommen, der hat vollkommen geirrt. Und es mangelte beiden Teams gehörig an Routine, Spielwitz und Robustheit.

Spanien: Als Titelverteidiger nur noch eine Enttäuschung, Tiki-Taka hat sich überlebt. Oldies wie Xavi oder Iniesta schienen zu müde, Torhüter Casillas war beim 1:5 gegen die Niederlande nur noch zu bemitleiden. Immerhin gab es einen Sieg gegen Australien, aber der Titelverteidiger ist schon nach der Vorrunde ausgeschieden.

England: Die Hoffnung, dass die Three Lions wieder einmal bei einem Großereignis mitspielen würden, zerplatzten wie Seifenblasen. Stars wie Rooney oder Gerrard – sie sind zu schwach, zu langsam, der Weltmeister von 1966 war nicht WM-reif. Nur ein Remis (0:0) gegen Costa Rica, das schlechteste WM-Ergebnis ihrer Historie ist amtlich.

RAND-DETAIL

38 Jahre
vergingen, ehe die Seleção wieder ein Heimspiel in einem Wettbewerb verlor – übrigens in Belo Horizonte. Damals hieß der Sieger Peru, 3:1. 2014 siegte Deutschland mit 7:1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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