Brasilien: Pure Tristesse statt Ehrenrettung

Brazil´s Neymar reacts after his team lost their 2014 World Cup third-place playoff against the Netherlands at the Brasilia national stadium in Brasilia
Brazil´s Neymar reacts after his team lost their 2014 World Cup third-place playoff against the Netherlands at the Brasilia national stadium in Brasilia(c) REUTERS (DOMINIC EBENBICHLER)
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Die Seleção leistete sich den nächsten Totalausfall. Teamchef Scolari betrieb danach zwar Realitätsverweigerung, doch sein Abschied ist besiegelt.

Brasilia. Nach Versöhnung und einem Abschied in Würde hatte sich die brasilianischen Fußballseele nach dem 1:7-Debakel im Halbfinale gegen Deutschland gesehnt. Doch das kleine Finale brachte nur die nächste herbe Enttäuschung. Brasilien zeigte erneut defensive Auflösungserscheinungen gepaart mit offensiver Ideenlosigkeit, die Niederlande gewannen ohne Mühe mit 3:0. Die Fans auf den Tribünen verzichteten am Ende auf weitere Pfiffe und spendeten lieber dem Gegner Applaus. Im Gegensatz zu den brasilianischen Spielern, die der Medaillenübergabe an die Niederländer nicht mehr beiwohnten.

Statt mit dem erhofften Hexacampeão, dem sechsten Titel, endet die Heim-WM für das fußballverrückte Brasilien in Tristesse und hinterlässt gleich mehrere Negativmarken. Erstmals seit mehr als 40 Jahren kassierte die Seleção zwei Niederlagen bei einer WM, zwei aufeinanderfolgende Pleiten vor heimischem Publikum hatte es zuletzt vor 74 Jahren gegeben. Zudem erhielt erstmals seit 1986 ein Team bei einer Endrunde 14 oder mehr Gegentore.

Fans und Medien haben den Schuldigen dafür längst gefunden: Teamchef Luiz Felipe Scolari. Hatte der 65-Jährige am Dienstag noch von einem kollektiven Blackout seiner Spieler gesprochen, betonte er diesmal die „guten Seiten einer ausgeglichenen Partie“. Auch wenn diese wohl nur er selbst und keiner der 72.788 Zuschauer in Brasilia gesehen hatte. „Wir haben die Top vier erreicht. Ich denke nicht, dass wir das Nationalteam kritisieren können“, erklärte der Weltmeistertrainer von 2002 der aufgebrachten Journalistenschar. Natürlich sei er traurig, „aber das ist keine Situation, über die ich den Rest meines Lebens klagen kann“. Immerhin redete sich Scolari nicht auf den algerischen Schiedsrichter Djamel Haimoudi aus, der sich der unterirdischen Leistung der Brasilianer angepasst und den Niederländern einen Elfmeter geschenkt und vor dem zweiten Gegentreffer ein Abseits übersehen hatte.

Moralische Unterstützung erhielt „Felipão“ von Neymar, der das Spiel von der Bank aus verfolgt hatte, und plötzlich bei der Pressekonferenz auftauchte. Der verletzte Superstar herzte seinen Trainer innig und drückte ihm ein Küsschen auf die Wange. „Vai com Deus“, geh mit Gott, gab Brasiliens einziger Lichtblick bei dieser WM ihm mit auf den Weg. Wohin dieser führt, ließ Scolari offen. Über seine Zukunft als Nationaltrainer, so sagte er, entscheide der Präsident des Fußballverbands. Dieser hat die logische Entscheidung intern allerdings längst getroffen.

Van Gaals emotionaler Abtritt

Auch bei den siegreichen Niederländern konnte der insgesamt vierte Podestplatz bei einer WM den Schmerz über den verpassten Titel nur minimal lindern. „Hiermit haben wir den Kater ein wenig weggespült, aber die Enttäuschung überwiegt“, sagte Louis van Gaal. Für den streitbaren Bondscoach war es der Abschied vom Verband, er tritt nun seinen Dienst bei Manchester United an. „Ich bin sehr stolz auf diese Mannschaft. Das ist die beste Gruppe, mit der ich jemals gearbeitet habe. Sie wird immer einen Platz in meinem Herzen haben“, betonte der 62-Jährige.

Ob die goldene, jedoch weiterhin titellose Generation um Arjen Robben, Wesley Sneijder und Robin van Persie (alle 30) mit Guus Hiddink in vier Jahren in Russland noch einen weiteren Anlauf wagt, ist fraglich. Der in Brasilien in Hochform agierende Robben wollte es zumindest nicht ausschließen. „Solange ich Spaß habe, will ich weitermachen. Je älter ich werde, desto besser werde ich anscheinend.“ (swi)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2014)

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