Zwischen Baum, Topf und Maischetonne

Marillenernte
Marillenernte(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Wir begegnen uns zufällig nach der Arbeit in der U-Bahnstation. Jeder trägt eine Steige Marillen.

Wir begegnen uns zufällig nach der Arbeit in der U-Bahnstation. Jeder trägt eine Steige Marillen. „Marmelade“, sage ich. „Zehn Kilo hab ich schon“, sagt er. Wir sind zusammen in die Schule gegangen, aber leben mittlerweile schon länger in Wien als sonst irgendwo bisher. Aber wer aus der Wachau kommt, oder aus gewissen Gemeinden im Burgenland, der trägt es ein Leben lang in sich, das Marillending.

Man braucht dieser Tage unter Eingeweihten nicht viele Worte verlieren. Die Marille hat unser Leben gefangen genommen. „Pendle zwischen Baum, Kochtopf und Maischetonne“, schreibt eine Freundin. „Dazwischen gibt es Marillenkuchen.“ Sie hat sich Urlaub genommen, um zu Hause zu helfen. Die Marillenernte ist eine intensive Zeit.

Es gibt für alle Verarbeitungsformen nur ein kleines Zeitfenster – und jeder Baum hat seine Eigenheiten. Die Marillen für den Kuchen sollen noch schön sein, die für die Marmelade möglichst überreif. Kleine faule Stellen gehören sofort ausgeschnitten. Schneidet man viele Marillen, und das tut man immer, weil mit kleinen Mengen fängt man gar nicht erst an, färben sich die Finger orange-braun, aber sie riechen auch nachhaltig gut. (Das finden Wespen übrigens auch.)

Die Marille ist eine sensible Frucht. Wenn die Bäume blühen, kann ein harter Frost die Ernte vernichten. Später reicht ein kräftiger Hagelschauer, um die Früchte zu dezimieren. Man sieht am Zustand der Marillen, was so alles passiert ist, seit dem Frühling. In manchen Orten hängt kaum eine Frucht an den Bäumen, im Nachbarort biegen sich die Äste. Das Orange der Marille, vor allem, wenn sie erhitzt ist, gehört zu den schönsten des Farbspektrums.

Mit einem Schlag ist es dann vorbei. Im Supermarkt kann man zwar immer noch Marillen kaufen, aber wir wollen im Rhythmus der Obstbäume bleiben, und da gibt es schon bald die Pfirsiche.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.