1964: Als Mississippi sang und brannte

USA MISSISSIPPI BURNING 50TH ANNIVERSARY
USA MISSISSIPPI BURNING 50TH ANNIVERSARYAPA/EPA/CHRIS TODD
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Hunderte US-Studenten kämpften vor 50 Jahren im Freedom Summer für das Wahlrecht der Schwarzen. Es sollte der letzte Erfolg der gewaltlosen Bürgerrechtler werden.

Sie waren aus Yale gekommen, aus Berkeley, Princeton, von der Harvard University und all den anderen elitären Bildungsstätten Amerikas. Durchschnittlich zwei von fünf unter ihnen waren Frauen. Kaum einer war älter als 25, der Jüngste gerade erst 18 Jahre alt. Lebenserfahrung hatte kaum einer von ihnen, ein kühnes Ziel einte sie alle, die am 14. Juni 1964 am Campus des Western College for Women in Oxford, Ohio, zusammengekommen waren: den rund 900.000 Schwarzen in Mississippi zu ihrem Wahlrecht zu verhelfen.

Rund 700 Studenten waren dem Aufruf des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) gefolgt, am Mississippi Summer Project teilzunehmen. In zwei Gruppen geteilt, sollten sie die Sommerferien in dem Südstaat verbringen: Die einen sollten in den armen Vierteln der Schwarzen von Tür zu Tür gehen und die Bürger dazu ermuntern, sich ins Wählerverzeichnis eintragen zu lassen. Die anderen würden unterdessen Freedom Schools organisieren, in denen schwarze Kinder in afroamerikanischer Kultur und Geschichte ebenso unterrichtet werden sollten wie in Chemie und Physik.

Während dieser zehn Wochen des Freedom Summer würden die mehrheitlich weißen Studenten bei und mit schwarzen Familien wohnen. Konnte das gut gehen, in Mississippi, dem letzten der alten Südstaaten, der sich gegen die Aufhebung der Rassentrennung wehrte? In einer weißen Mehrheitsgesellschaft, die derart krankhafte Angst vor der Vermischung der Rassen hatte, dass es im Frühjahr 1964 einen Boykott gegen die TV-Serie „Bonanza“ und ihre Sponsoren gab, weil in einer Folge angeblich ein schwarzes Cowgirl zu sehen sein sollte?


Kafkaeske Schikanen.
In vielen Bezirken des Staates waren die Schwarzen in der Mehrheit, doch nur fünf Prozent waren in den Wahllisten eingetragen. Im Bezirk Panola zum Beispiel gab es im Jahr 1964 unter 7250 Schwarzen im Wahlalter nur zwei, die tatsächlich wahlberechtigt waren. Ein perfides Wahlgesetz sorgte dafür, dass die großteils bitterarmen schwarzen Landarbeiter eine Gebühr zahlen mussten, um eingetragen zu werden, und einen Lese- und Schreibtest zu bestehen hatten. Die Antragsteller mussten einen Artikel aus der Verfassung von Mississippi transkribieren und dann „eine vernünftige Interpretation (der Bedeutung) dieses Artikels niederschreiben. Wie die auszusehen hatte, lag allein im Ermessen der ausschließlich weißen Gemeindebediensteten. Eine Berufung war unmöglich. Kaum ein Schwarzer bestand diesen Test

Und dann war da noch die nackte Gewalt. Allein im ersten Halbjahr 1964 sind fünf Schwarze gelyncht und gut fünfzig öffentlich zusammengeschlagen worden. Als im Frühjahr bekannt wurde, dass die Studentenaktivisten aus dem Norden der USA eine große bürgerrechtliche Aktion in Mississippi planten, formierte sich der Ku-Klux-Klan neu; angeblich mit bis zu 91.000 Mitgliedern.

Dennoch ließen sich die jungen Aktivisten nicht von ihrer Mission abbringen. „Alle hielten an der Hoffnung fest, dass jedesmal, wenn Amerika seine Ideale zu verraten drohte, junge Amerikaner sie wieder herstellen konnten“, schreibt Bruce Watson in seiner 2010 erschienenen meisterhaften Chronik des Freedom Summer.

Und so trainierten die Studenten auf dem Universitätscampus in Ohio eine Woche lang den Einsatz im Süden unter Anleitung von gleichaltrigen schwarzen Aktivisten des SNCC. Anfangs stimmte die Chemie überhaupt nicht. Die schwarzen Bürgerrechtler, die allesamt bereits verprügelt und vereinzelt angeschossen worden waren, hielten die Studenten für kindisch und verweichlicht. Sie befürchteten außerdem, dass sie die Führung über SNCC an privilegierte weiße Kinder verlieren würden.

Diese Animosität sollte nie ganz verschwinden. Der Freedom Summer wurde dennoch ein Erfolg. Das lag zunächst an seinem Erfinder, dem in Harvard promovierten Mathematiklehrer Bob Moses. Mutter der Bewegung wurde Fannie Lou Hamer, die seit ihrem sechsten Lebensjahr Baumwolle gepflückt hatte, von Rassisten schwer verprügelt und daraufhin im Krankenhaus ohne ihr Wissen sterilisiert worden war. Sie führte die Gruppen der jungen weißen und schwarzen Aktivisten mit ihrer prachtvollen Stimme mit Gesang an. „Get on Board, Children“, „Wade in the Water“, „Ain't Gonna Let Nobody Turn Me Around“ und andere Gospelsongs halfen ihnen durch viele dunkle Stunden.

Die dunkelste schlug gleich am 21. Juni, dem ersten Tag des Sommers der Freiheit. Die Aktivisten James Chaney (21), Andrew Goodman (20) und Michael Schwerner (24) wurden im Bezirk Neshoba von einer Ku-Klux-Klan-Bande unter Beihilfe der örtlichen Polizei gefoltert, ermordet und unter einem Erdwall verscharrt. 44 Tage dauerte die Suche. „Mississippi Burning“ nannte das FBI diese Operation, angelehnt an das verkohlte Wrack des Autos der drei jungen Männer. Der Folksänger Pete Seeger gab gerade ein Benefizkonzert, als man ihm die Meldung vom Fund der drei Leichen zuraunte. „Bitte nehmt einander an den Händen“, sagte Seeger den erschütterten Zuhörern. „Und jetzt singen wir gemeinsam ,We shall overcome‘.“

„Mississippi Burning“ ist auch der Titel jenes Spielfilms aus dem Jahr 1988, in dem Gene Hackman und Willem Dafoe zwei tapfere FBI-Männer mimen, die den Mord an Chaney, Goodman und Schwerner aufklären. „Dieser Film empörte auf der Stelle alle“, schreibt Bruce Watson. Denn die Regierung unter Präsident Lyndon B. Johnson tat lange Zeit nichts, um die Aktivisten vor Gefahren zu bewahren. FBI-Chef J. Edgar Hoover hielt sie für subversive Kommunisten, die man eher bespitzeln als beschützen sollte.


Politische Ernüchterung.
Als eine Delegation der neu gegründeten Mississippi Freedom Democratic Party – bestehend aus 64 schwarzen und vier weißen Bürgerrechtlern – im August um Teilnahme beim Parteitag der Demokraten in Atlantic City warb, verhinderte Johnson die Liveübertragung der phänomenalen Rede von Fannie Lou Harmer, indem er spontan eine Pressekonferenz aus dem Weißen Haus ankündigte (auf der er nichts Wesentliches sagte).

Die schwarzen Bürgerrechtler mussten zur Kenntnis nehmen, dass ihnen der Zugang zur (weiß dominierten) Parteipolitik verwehrt war. Viele von ihnen radikalisierten sich in der Black-Power-Bewegung; manche gingen in den Untergrund.

Der Freedom Summer war insofern der letzte Erfolg der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung. Zwar waren nur rund 17.000 Schwarze bereit, sich in die Wählerevidenz von Mississippi eintragen zu lassen, und nur 1600 wurden zugelassen. Doch 1965 brachte der neu gewählte Präsident Johnson den Voting Rights Act durch. Lese- und Schreibtests sind seither verboten, Registrierungsgebühren ebenso. Zudem durften neun Bundesstaaten – fast alle im Süden – nur mit vorheriger Genehmigung der Bundesregierung ihr Wahlrecht ändern. Die Betonung liegt auf „durften“, denn im Juni vorigen Jahres hat der konservativ dominierte Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten diese Bestimmung aufgehoben.

Mississippi ist heute jener Bundesstaat mit dem höchsten Anteil gewählter schwarzer Politiker. Ku-Klux-Klan und Lynchmorde sind nur mehr böse Erinnerungen. Das liegt nicht zuletzt an jenen idealistischen jungen Leuten, die vor fünfzig Jahren in Bussen gen Süden fuhren.

„Niemand war bis dahin hier aufs Land gekommen und hatte mit den Bauern geredet“, sagte Fannie Lou Hamer später. „Diese Kids haben uns wie etwas Besonderes behandelt, und wir haben sie dafür geliebt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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