Ein Casanova geht nicht in Altersteilzeit

Venedig
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Helga David zeigt ihre Bearbeitung von Schnitzlers Novelle „Casanovas Heimfahrt“ mit einem bezwingend aufspielenden Ensemble. Leider zum letzten Mal, denn „Schnitzler im Thalhof“ ist Geschichte.

Es gibt Figuren, auf die reimt sich das Wort „altern“ einfach nicht. Da verursacht allein schon der Gedanke daran eine ausgewachsene kognitive Dissonanz. Man nehme nur Giacomo Casanova. Ein sogenannter Frauenheld geht nicht in Pension oder Altersteilzeit, zumindest nicht freiwillig. Diese Spannung machte sich Arthur Schnitzler für seine Novelle „Casanovas Heimfahrt“ zunutze, die derzeit in Bearbeitung und Regie Helga Davids am Thalhof in Reichenau gegeben wird.

Nein, er hat nicht mehr viel mit einem erfolgsverwöhnten Verführer zu tun, dieser Giacomo Casanova, den Clemens App Lindenberg da auf die Bühne des Ballsaals wuchtet. Ein Mensch, der sich selbst verbraucht hat, mit einem abgehausten Gesicht, der auf seinen Koffer steigen muss, damit man ihn überhaupt noch bemerkt. Doch dement ist er ja noch nicht, und so ist das einzig Frische an diesem Casanova seine Erinnerung an einstige (Un-)Taten. Sie blitzt in seinen Augen auf, und er fängt ja auch sofort wieder Feuer, wie trockenes Astwerk, als ihm sein alter Freund Olivo (mit sympathischer Gutmütigkeit: Reinhold Kammerer) von Marcolina berichtet, der so schönen wie intelligenten Nichte. Jedem Buchstaben ihres Namens schmeckt er nach. Ein Casanova in den besten Jahren hätte da dynamisch-souverän gewirkt. Jetzt, im Wissen um seine von den Jahren hinweggetragene Anziehungskraft, ist nur eine fast hysterische Altersnotgeilheit geblieben. Casanova muss sich beweisen, dass er noch nicht auf das Abstellgleis gehört, und das geht natürlich so schief, wie es bei Schnitzler nur schiefgehen kann.

Casanovas Zukunft: Polizeispitzel

Er erschleicht sich zwar – wie demütigend für den Verführer a. D. – eine Nacht mit Marcolina, doch als diese in der Früh ihren Irrtum bemerkt (sie hat ihn für ihren Geliebten Lorenzi gehalten), führt ihm ihr Entsetzen umso gnadenloser seinen desolaten Zustand vor. Als Kollateralschaden ersticht er im Duell auch noch den braven Lorenzi und schleicht sich bei Nacht und Nebel ins heimatliche Venedig, das ihn nach langer Verbannung wieder aufnimmt – als Spitzel.

Lindenberg gelingt die erschütternde Studie eines gewissenlosen Egomanen, der, nach Selbstbestätigung lechzend, andere in den Abgrund reißt. Um diesen Weltmeisterzyniker herum agiert ein wunderbares Ensemble: Jede Rolle ist bis ins stimmigste Detail durchgearbeitet, von Olivos Frau Amalia, die keine Sekunde braucht, um sich an ihren Ex-Geliebten Casanova heranzuschmeißen (mit Edelstimme: Lisa Wildmann), über die mit der Mathematik verheiratete Marcolina (mit entwaffnendem Esprit: Lisa Schrammel), bis hin zu ihrem Lorenzi (wacker: Joe Ellers). Auch Marchese und Marchesa (Johannes Seilern und Selina Ströbele) lassen an Exzentrik nichts zu wünschen übrig.

Helga Davids Truppe spielt, als gäbe es kein Morgen. Und es gibt ja auch tatsächlich keines. Vor Kurzem hat der Thalhof, die einst so wunderbar patinagetränkte Schnitzler-Idealspielstätte, den Eigentümer gewechselt, und die neuen Herrschaften haben David nach 16 Jahren „Schnitzler im Thalhof“ quasi vor dessen teilrenovierte Tür gesetzt. Doch die langjährige Intendantin will weitermachen, das steht für sie außer Frage. Zu klären ist nur noch, wo. Es gibt eben Menschen, auf die reimt sich das Wort „altern“ nun wirklich nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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