Im Klub der Untoten

Für immer alt: Ernst Brauner siedelt Swifts „Struldbrugs“, die Unsterblichen, im Mühlviertel an. Ein Geronto-Inferno.

Das ewige Leben hat leider einen Haken, in der Literatur zumindest. Unsterblich wird man meist nicht auf der Höhe seiner Zeit, sondern im Endstadium. Biologisch alt, nicht ganz bei Trost und auch nicht mehr ganz bei Sinnen in der Endlosschleife gefangen – eine Ahnung von diesem Horror gibt uns Jonathan Swift mit seinem kindlich-staunenden Reisebericht, Gulliver besucht die „Struldbrugs“.

Der österreichische Autor Ernst Brauner wirft den Helden seiner „Struldbrugs“ erst einmal ins Fegefeuer: Hermann, einst Journalist, aber wieder zu seinen Mühlviertler Wurzeln zurückgekehrter Landwirt, steckt noch voller Spannkraft, als ihm das Los der eigenen Unsterblichkeit dämmert. Seinem Verdacht ist mit Medizin, Mathematik und Philosophie nicht beizukommen, ohnedies kommt bald euphorische Gewissheit: Er ist nicht allein, Hermann wird in eine Loge aufgenommen, einen kleinen, exklusiven Klub der Untoten, die sein Erfinder mit interessanten Köpfen besetzt: einem österreichischen Kardinal, einem weltberühmten jüdischen Dichter, einem galanten Schauspieler, einem Geheimdienstchef.

Parallel dazu entwickelt Ernst Brauner in dieser „Chronik aus den ersten Jahrzehn-ten des dritten Jahrhunderts“ ein größtmöglich anzunehmendes Geronto-Inferno. Es herrscht Krieg gegen die Alten und Diktatur der Jungen – eine zynische, mörderische Dynamik. Was da der wachsenden Zahl der über Achtzigjährigen durch ihre Nachkommen widerfährt, wird als schleichender Prozess beschrieben, aus dem schwere Paranoiker Signale für die Zukunft herauslesen könnten: Entmündigung alter Menschen als getarnte Hilfestellung. Ausgrenzung getarnt als Emigration. Internierung als getarnte Obsorge. Pathologisierung als Endlösung. Um dies zu zeigen, bedient Brauner Parallelen zur Ideologie des Nationalsozialismus, greift konkrete Ereignisse wie die Mühlviertler Hasenjagd auf.

Bei aller Drastik schwächt der Autor diese Bedrohlichkeiten immer wieder ab. Einerseits lässt er sich auf literarische Spielerei-en ein – Querverweise auf Ahasver, den ewigen Juden, die Apokalypse des Johannes, Goethes Faust. Dazwischen speist er gesellschaftspolitischen Zündstoff ein, man stößt auf kurze Exkurse über die Pensionsdebatte, das Bevölkerungswachstum oder die „Methusalemisierung“; da kommt zum Tragen, dass der Autor lange auch Redakteur und Verlagsleiter war.

Anderseits verleiht Brauner diesem pessimistischen Szenario einen erzählenden Tonfall, der stellenweise so wirkt, als käme er aus einer weit zurückliegenden Vorvergangenheit. Und manchmal hört man diesen Erzähler regelrecht zum Leser sprechen, denn er macht ihm gegenüber immer wieder Andeutungen, Vorgriffe und Kommentare, geschickt genug allerdings, um ihn mit einigen überraschenden Wendungen in dieser als Chronik getarnten Parabel zu überraschen. Man ist fast erleichtert, dass das Sciene-Fiction-Artige und Verschwörungstheoretische in den „Struldbrugs“ schwerer wiegt als der Wirklichkeitsbezug, so brisant das Thema auch ist. Und ein Glück, dass wir alle älter werden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)

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