Performance: Schau mal, wer da spricht – hör mal, wer da hämmert

„Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“, amüsantes Infotainment bei den Wiener Festwochen im Odeon.

Der Weg ist nicht das Ziel, sagt der Raumplaner Helmut Hiess. Seit Erfindung des Rades ist der Mensch ständig zu irgendeinem Zwecke unterwegs – und ständig wird er dabei schneller. Trotzdem verbringt er täglich selten mehr als eine Stunde mit Wegen, ob er in den USA lebt, wo er in dieser Zeit 60 km zurücklegt, oder in Österreich, wo er nur rund 20 km schafft. Geißel Verkehrsinfarkt?

Hiess lächelt. Der Verkehrsinfarkt ist für ihn mehr ein Anlass zu Selbsttherapie. Wer schlau ist, z. B. öffentlich fährt, statt im Auto zu sitzen, wo die Schadstoffbelastung so hoch ist wie am Straßenrand, kommt mit Bewegung und Beweglichkeit besser zurecht. Besonders rasch gehen die Lernprozesse nicht voran. In Wien fahren noch immer etwa gleich viele mit dem Auto wie öffentlich. Zwischen zwei Gongschlägen haben Experte und „Klient“ 30 Minuten Zeit zum Reden – bei „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“. Die Veranstaltung fand nur einmal bei den Festwochen statt. Hanna Hurtzig, ehemals Dramaturgin an Castors Berliner Volksbühne, ist für Konzept und Raum zuständig.

Das Format wurde erstmals in Österreich beim Steirischen Herbst präsentiert – insgesamt bereits zehn Mal. Über 100 Experten, die je 50 € Honorar bekommen, erzählten Samstag bei freiem Eintritt im Odeon rund 650 Menschen (in Graz waren es 800) von ihrer Arbeit oder sprachen über ein Thema, das sie interessiert. Eigentlich hätte man am liebsten alle diese Leute kennen gelernt. Bei manchen lockt der Glamour-Faktor: Einmal Barbara Stöckl im trauten Zweier-Gespräch gegenübersitzen; andere haben fachlich Spannendes zu bieten, referieren über Klassiker, Science Fiction, Bankwesen, Blues, über Ur-Sünde, Gerechtigkeit, Kybernetik, Korruption, Krieg. Um 19 Uhr begann der Check-In, sprich: Die Anmeldung,. Im Odeon herrschte fast eine Art Happening-Atmosphäre: Bier, Wurst mit Senf, volle Aschenbecher, fröhliche urbane Menschen zuhauf, die versuchten, so rasch wie möglich das Verfahren zu durchschauen und einen Platz an den Tischen zu erobern. „Schuld abladen verboten“ steht auf einem Schild.

Referenten erzählten freilich, dass die Gespräche sehr rasch ins Persönliche gleiten: Die ehemalige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner etwa konnte nur kurz über Kleists „Penthesilea“ reden, bald wurde sie mit praktischen Beziehungsproblemen konfrontiert: Kampf, Schuld, Macht, Virilität, Siegen, wie kommen Mann und Frau heute damit zurecht? Ein Zusammenschnitt der Gespräche wurde live per Audio-Guide übertragen, auch einzelne Vorträge. Man hört von Kunst-Restitution, Kochen, ein Mann lädt seine Wut über soziale Missstände ab, Wortfetzen über die Immobilienkrise dringen ans Ohr und werden sofort verdrängt von Ausführungen über gescheiterte Staaten, die, von Gewalt und Korruption beherrscht, eine Bedrohung für die EU darstellen. Abseits schminkt ein Maskenbildner einer Frau die Schönheit weg und verpasst ihr ein Monster-Auge. Das gehört wohl zu den praktischen Übungen...

Drei Stunden dauert die witzige Performance, die allerdings durch Stimmengewirr, Musik, Lärm mit der Zeit auch recht ermüdend wirkt. Man sehnt sich nach Stille. Bestechend sind Idee und Konzept jedenfalls. Nach Mail und Chat eröffnet sich hier ein neues Feld für die offenkundig nie versiegende Sehnsucht von Menschen nach Austausch, Kontakt, selbst in diesen Zeiten überbordender Kommunikation. Was man dabei lernt ist nicht so wichtig. Da ist der Weg dann doch wieder das Ziel. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.