Penninger: "Mit Mittelmäßigkeit bekomme ich nichts"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Wittgenstein-Preisträger Josef Penninger über Geld für Brustkrebsforschung aus dem Pentagon, die Freiheit der Forschung und darüber, was Österreich für den Weg an die Spitze fehlt. Ein Plädoyer gegen das Prinzip der Gießkanne.

Die Presse: Sie blicken auf turbulente Wochen zurück: Zuerst haben Sie den Wittgenstein-Preis erhalten, dann gab es Kritik, weil das Pentagon Ihre Forschung finanziert. Verstehen Sie die Aufregung rund um das Thema?

Josef Penninger: Welchen besseren Nutzen von Steuergeld gibt es, als es für die Krebsforschung einzusetzen? Wer sich hierzulande beschwert, soll bitte ins Parlament gehen und fordern, dass wir in Österreich hunderte Millionen Euro für die Brustkrebsforschung zur Verfügung gestellt bekommen. Der Vorwurf fehlender Transparenz ist jedenfalls kurios: Jeder kann im Internet nachlesen, dass wir alles schon vor eineinhalb Jahren transparent gemacht haben. Nein, ich kann die Aufregung nicht verstehen.

Woran forschen Sie mit den 7,4Millionen Dollar aus dem US-Verteidigungsministerium?

Wir haben ja schon 1999 ein Protein publiziert, RANKL, das für Knochenschwund verantwortlich ist. Ein Jahr später haben wir zufällig eine zweite essenzielle Funktion entdeckt: Das Sexhormon Progesteron sagt den Brustzellen über RANKL, dass sie wachsen sollen. Daraus hat sich die Idee entwickelt, dass Sexualhormone Brustkrebs treiben. Es hat dann noch zehn Jahre gedauert, bis wir die ganze Genetik hatten. Sie haben wir dann in „Nature“ publiziert.

Wie ging es weiter? Es gab ja große Konkurrenz.

Auf diese Arbeit sind sehr viele Leute aufmerksam geworden. Ich wurde angerufen und eingeladen, mich beim Innovator Award zu bewerben. Und als Österreicher, der in Europa arbeitet, habe ich gedacht, ich habe sowieso keine Chance auf einen amerikanischen „Grant“, der so herausragend ist, auch vom Geld her. Und dann hat man mich aus 72 Leuten, die sich beworben haben, ausgewählt.

Das Pentagon als Fördergeber irritiert Sie nicht?

Das ist wie eine normale Forschungsförderungsagentur, die auch evaluiert wird – ein Vehikel der amerikanischen Regierung, wie sie Forschungsgelder verteilt. Einen militärischen Nutzen schließe ich aus, das Geld ist voll und ganz der Brustkrebsforschung gewidmet.

Wie sieht die Zusammenarbeit aus? Fahren Sie regelmäßig ins Pentagon und berichten?

Interviewt haben mich zu Beginn die Topkrebsforscher Amerikas, das hatte nichts mit Militär zu tun. Und jetzt ist es so, dass ich wie bei jedem ERC- oder FWF-Grant einmal im Jahr berichte, was ich geleistet habe. Wir treffen uns aber auch ein-, zweimal, denn daraus hat sich eine Gruppe gebildet, die verrückte Ideen entwickelt.

Was heißt das konkret, womit befassen Sie sich?

Ein Thema ist, wie wir schlafende Krebszellen finden könnten. Beim Brustkrebs heißt das: Der Tumor in der Brust tötet die Frau nicht, aber die Metastase nachher. Es passiert in vielen Fällen, dass man Brustkrebs entdeckt und behandelt, und zehn Jahre später erwacht plötzlich eine Metastase im Gehirn, in der Leber oder in den Knochen. Die Frage ist: Wie können die Zellen zehn Jahre lang schlafen, was passiert, wenn sie erwachen? Können wir Ideen entwickeln, um sie zu finden? Und: Welche völlig neuen Ideen für Medikamente lassen sich für die Therapie einsetzen?

Im Kern geht es in der Diskussion doch um die Freiheit der Forschung. Wie sehen Sie diese im Kontext mit dem weiter wachsenden Druck, Drittmittel zu akquirieren?

In Österreich sollte es viel mehr Drittmittel geben. Den Gedanken, dass Drittmittel die Freiheit der Forschung zerstören, empfinde ich als Schwachsinn. Im amerikanischen System gibt es Leute, die ihre eigenen Gehälter aus Drittmitteln zahlen müssen. Das führt freilich sehr weit, die Leute sollen halbwegs sicher sein. Drittmittel sind eine Möglichkeit, die Wissenschaft dem Wettbewerb auszusetzen. Das ist essenziell, vor allem für die jungen Forscher.

Ist das ein gerechteres System?

Ja, denn es bringt uns weg von der beliebten österreichischen Gießkanne: Da gießen wir alle Blumenbeete ein bisserl, damit sie ein bisserl sprießen. Dazu, dass wir alles sprießen lassen können, ist Österreich aber nicht groß genug. In Österreich gibt es sehr wenige Drittmittelgeber. Ich bin Mitglied der New York Academy of Sciences. Ich schätze, dass es allein in New York mehr als 150 Drittmittelgeber gibt, die hunderte Millionen im Jahr ausgeben. Was es braucht, ist Transparenz: dass frei zugänglich publiziert wird, auch wenn dem Geldgeber das Ergebnis nicht passt.

Wenn Sie sagen, es sollte mehr Drittmittel geben, woher sollten diese kommen? Ist das ein Appell in Richtung Regierung?

Ja, absolut, aber auch an Private. Kanada etwa hat die Steuergesetze geändert, und dann sind private Fördermittel nur so geflossen. Das ist ein starker Appell an die Regierung, dass sie an der Steuerschraube drehen sollte, damit mehr privates Geld in die Forschung geht. Ich glaube, ohne diese Vehikel, dass man das besser von der Steuer abschreiben kann, wird sich nicht viel ändern. Und dann braten wir wieder in unserem eigenen Saft, im Saft der Gießkanne und der sehr wenigen kompetitiven Drittmittel. Für uns als Forscher ist die EU mit den ERC-Grants ein idealer Weg, um an europäische Drittmittel heranzukommen.

Sie sind ja der einzige österreichische Forscher, der den Advanced ERC Grant gleich zwei Mal bekommen hat. Was ist Ihr persönliches Erfolgsrezept?

Gute Arbeit machen, ein gutes Team haben. Mit Mittelmäßigkeit bekomme ich nichts.

Mittelmäßigkeit reicht also nicht. Wie nehmen Sie Österreich wahr? Sind wir „weltberühmt in Österreich“, oder wie gut sind wir wirklich?

Die ERC Rate an meinem Institut und dem Nachbarinstitut IMP war in den letzten Jahren hundert Prozent. Mehr oder weniger jeder, der angesucht hat, hat den ERC Grant auch bekommen. In Wien hat sich ein Campus entwickelt, der mit der Welt mithalten kann. Aber insgesamt sind wir noch viel zu klein. Wir können zwar in der Champions League mitkicken, aber wenn man ein oder zwei Leute austauscht oder sie verletzt werden, dann schauen wir wieder schlecht aus. Man sollte die paar „Leuchttürme“, die es im Land gibt, auch vernünftig und langfristig finanzieren.

Ist es nur das Geld, das fehlt? Was braucht es noch?

Bestimmte organisatorische Strukturen fehlen in Österreich. Zum Beispiel gibt es keine Max-Planck-ähnliche Gesellschaft. Das ist völliger Wahnsinn heutzutage. Wie soll man da mithalten? In Toronto, wo ich noch Professor bin, hat das Kinderkrankenhaus gerade ein neues Forschungsgebäude aufgemacht. Die Investition dort allein von Privaten: 400 Millionen Dollar, es gibt 2000 Forscher.

Wie kann Österreich da mithalten?

Wir müssen auf Qualität setzen, die richtigen Strukturen aufsetzen. Die Asiaten geben Vollgas, letzten November war ich in Japan: Die Regierung will dort in den nächsten zehn Jahren zehn Universitäten in die Top 100 bringen, und das finanzieren sie auch. In Österreich sind alle schon glücklich, wenn einer auf Platz 250 ist. Über Rankings kann man freilich diskutieren, aber es geht um die Grundphilosophie: Wo wollen wir hin? Und was ist es uns wert?

Welche Änderungen vermissen Sie noch?

Es braucht Leuchttürme, zu denen die tollen jungen Wissenschaftler in der Welt kommen können – wo nicht gegeneinander argumentiert wird. Das ist auch ein Problem in Österreich: der Fleckerlteppich. Jeder hat ein bisserl was, und jeder ist irgendwie gegen den anderen, statt dass wir gemeinsam agieren. Der Wissenschaft fehlt eine starke Lobby, wie es sie in Amerika gibt.

Wie sehen Sie die Perspektiven für die Jungen aktuell?

Damit es Perspektiven gibt, brauchte es zehn Institute wie unseres. Wir haben fantastische Lionel Messis der Wissenschaft, die wir in die Welt schicken. Wir leisten es uns, Junge gut auszubilden, häufig fehlen aber die Stellen in Österreich, dass sie zurückkommen.

Wie sehen Sie das IST Austria in diesem Kontext? Ist das der richtige Weg?

Die Politik hat bei IST Austria genau das Richtige gemacht: langfristig viel Geld investiert. An unserem Campus haben wir absolute Weltklasse, und viele Gruppen wissen nicht, wo sie in einem Jahr sein werden. Mein Wunsch wäre: Gebt mir das gleiche Geld für zehn Jahre, dann knallt's. Wir sind nicht schlecht finanziert, aber um international mitzuhalten, brauchen wir viel mehr.

Ist der Trend zum Mittelmaß etwas typisch Österreichisches? Geht es also auch um einen Wandel der Einstellung?

Ja. Ein Grund, warum man uns gegründet hat, ist, um Speerspitzen in die österreichische Gemütlichkeit zu trimmen. Das ist auch passiert. Das Niveau der Forschung hat sich in den letzten Jahren gehoben. Aber wir könnten viel visionärer sein. Wien hätte eine unglaubliche Gelegenheit, zu einem europäischen Zentrum der Forschung zu werden. Es passiert zwar manches, aber da ist noch viel Spielraum nach oben.

ZUR PERSON

Josef Penninger (49) wurde im oberösterreichischen Gurten geboren. Er studierte Medizin an der Uni Innsbruck sowie Kunstgeschichte und Spanisch. Nach der Promotion beim Innsbrucker Alternsforscher Georg Wick 1990 war er vier Jahre lang als Postdoc am Ontario Cancer Center tätig, danach als
Principal Investigator des US-Gentechnikkonzerns Amgen am Department of Immunology and Medical Biophysics der University of Toronto.

Nach Österreich kehrte er 2002 zurück, um das Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aufzubauen. Penninger erhielt eine Reihe hoher Auszeichnungen, zuletzt mit dem Wittgensteinpreis den wichtigsten Wissenschaftspreis Österreichs. Als einziger österreichischer Forscher bekam er den ERC Advanced Grant gleich zwei Mal verliehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.