1945-1949: Die Entdeckung des Alpbachtals

(c) Katharina Roßboth
  • Drucken

Das erste Alpbacher College stand ganz unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs: 1945 saßen einander in dem Bergdorf ehemalige Kriegsgegner gegenüber.

Es war eine andere Welt. Die Städte, vor allem die Industrieanlagen und Bahnhöfe, waren zerbombt, die Brücken gesprengt. „Oben" aber, in knapp 1000 Metern Seehöhe, im Tiroler Bergdorf Alpbach, sprechen 80 Personen über die Verantwortung der Wissenschaft in der Zeit des bevorstehenden Aufbaus. Der Zweite Weltkrieg war in Europa erst dreieinhalb Monate beendet, Japan sollte in einer Woche die Kapitulationsurkunde unterzeichnen - Alpbach am 25. August 1945.

Österreicher, interessierte Amerikaner und Franzosen aus den Reihen der Besatzungstruppen sowie 18 Schweizer bildeten das Forum. Warum dieses Treffen, warum Alpbach? Otto Molden, damals 27 Jahre alt, nutzte seine Kontakte aus seiner Tätigkeit im Widerstand. Gemeinsam mit dem Innsbrucker Dozenten für Philosophie Simon Moser, vor dem Weltkrieg ein Schüler von Martin Heidegger, schrieb er die „Internationalen Hochschulwochen des Österreichischen Colleges" aus. Die Bezeichnung College hatte er aus dem angloamerikanischen Hochschulsystem entliehen. So wie dort das Uni-System, die Begegnung der Professoren mit den Studierenden, lockerer war, so sollte es auch beim Forum sein. Der Innsbrucker Uni-Professor Robert Muth wies Molden wiederum auf das etwas entlegene, aber doch erreichbare Alpbach hin. Die erste Erkundigung, per pedes vom Inntal zehn Kilometer ins Alpbachtal, gestaltete sich für Molden und Moser zur Entdeckungsreise, die in der Begeisterung für dieses Tiroler Refugium mündete.

Schon die Anreise der Teilnehmer hatte sich schwierig gestaltet. In Österreich wurde erst neun Tage zuvor der Reiseverkehr in den drei westlichen Besatzungszonen für den Zivilverkehr freigegeben, die Landesgrenzen allerdings waren nur schwer passierbar, auch die 18 Schweizer konnten nur nach einer Wartezeit und nach Interventionen kommen. Im Tal, in Brixlegg, war in den letzten Kriegstagen die Eisenbahnbrücke gesprengt worden, man war auf die Hilfe französischer Pioniere angewiesen. Dann gab es noch die menschliche Barriere: Da saßen nun ehemalige Gegner gegenüber - Kriegsgegner, aber auch Widerstandskämpfer und jene, die bis zum Schluss aufseiten der Deutschen Wehrmacht gekämpft hatten.

Nach 35 Jahren sprach Otto Molden in seiner Rückschau vom „Spirit of Alpbach", der die Treffen vom Beginn an geprägt habe. Es gab Aussprachen und Diskussionen, keiner musste seinen Standpunkt aufgeben - aber man sah Gemeinsamkeiten, arbeitete an Konzepten für die Zukunft. Dieser Alpbacher Geist ist bis heute geblieben. Das erste Alpbacher Treffen im August und September dauerte 14 Tage, die Veranstaltungen fanden in den Räumen des größten Hotels, des Böglerhofs, statt. Als die Teilnehmerzahl über die Jahre wuchs und wuchs, traf man sich auch in bereitgestellten Bauernstuben oder stellte die Stühle im Freien auf. Bilder aus der Zeit liefern ein eindrucksvolles Zeugnis.

Das Thema 1945 lautete „Wissenschaft und Gegenwart". Man diskutierte über das Religiöse nach den Grausamkeiten des Krieges, über Demokratie, den geistigen Widerstand in Europa und den Gegensatz von autoritärem und liberalem Denken. Zum größten Erfolg trugen die Teilnehmer nach dem Ende der Alpbacher Tage bei: Diese Diskussionen sollten wiederholt werden, wurden Molden und Moser bestürmt. Alpbach sollte keine Eintagsfliege sein. Die Gruppendynamik hatte alle erfasst. „Es ging und geht also um die Integration des Einzelnen in die Alpbacher Gemeinschaft", schrieb Molden später. „Alpbachs beste Jahre waren immer jene, in denen diese Integration, bei voller schöpferischer Selbstständigkeit des Einzelnen, bestmöglich gelungen ist."

Molden schrieb das in seinem Buch „Der andere Zauberberg. Das Phänomen Alpbach" (Molden-Verlag 1981). Dass er Anleihe bei Thomas Manns „Zauberberg" nahm, ist kein Zufall. So wie in dem 1924 erschienenen Roman der Weltliteratur wird auch in Alpbach über Wissenschaft, Philosophie und Politik gesprochen. Die abgeschiedene Bergwelt - da Davos, hier Alpbach - ist die geeignete Kulisse.

Aus der spontanen Aktion des Jahres 1945 wurde ein jährlicher Treffpunkt von Kapazitäten aus dem Geistesleben. 1947 kam Friedrich A. Hayek (1974 Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften) zum College-Treffen, 1948 Nobelpreisträger Ernst Chain aus Oxford, ein Mediziner und Biologe, 1948 Sir Karl Popper, 1949 der Physiker Erwin Schrödinger. Und das war erst der Anfang.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Busek und Schüssel
Home

Alpbach lebt von und mit der Politik

Österreichs Regierung sucht Kontakt zu bedeutenden Persönlichkeiten. Verstimmungen gehören dazu, auch ein Boykott ging in die Geschichte ein.
Der Geist von Alpbach

Wie alles begann

Home

Der Putsch, der 24 Stunden dauerte

Welchen Weg sollen die Alpbacher College-Tage beschreiten? Die Weichenstellungen wurden oft mühsam und mit Krämpfen vorgenommen. Am Schluss siegte doch die Einigkeit als oberstes Prinzip.
Home

1949-1953: Das Dorf der Denker entsteht

Anfangs ein Treffen der geistigen Elite, erwacht zusehends auch das Interesse von Politik und Medien. Die Weichen für die Zukunft des Forums werden gestellt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.