Sozialforschung: Wie Chinas Internetzensoren entscheiden

(c) REUTERS (JORGE SILVA)
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US-Forscher schlichen sich in die Feinheiten ein, indem sie verdeckt ein eigenes soziales Netzwerk in China gründeten: Kritik geht durch, auch harte, aber Aktionismus wird unterdrückt.

Am 28. Dezember 2013 besuchte Chinas Präsident Xi Jinping einen Feng Qing Steamed Bun Shop in Peking – das ist eine Fast-Food-Kette, in der es gefüllte Germknödel gibt. Er orderte ein Bun mit Schwein und eines mit Zwiebel, etwas gebratene Leber dazu, dann bezahlte er 21 Yuan, trug das Tablett an einen Tisch und speiste.

Die mediale Begleitung war enorm, und dann brach in den sozialen Netzwerken ein mittlerer Tsunami los, es hagelte Kritik: an der aufgesetzten Volksnähe, an der mangelnden Demokratie und der überbordenden Korruption, auch an Xis Person – es kam aber auch Lob. Die Zensur ließ beides durch, und das in dem Land mit der „elaboriertesten Internetkontrolle der Erde“ (Freedomhouse, eine US-NGO), in dem Computerprogramme und geschätzte zwei Millionen Menschen darüber wachen, was an die Öffentlichkeit dringt: Von den kritischen Beiträgen wurden nur 18 Prozent unterdrückt, von den lobenden immerhin auch 14.

Woher weiß man das? „Die Zensur tappt herum wie ein Elefant“, erklärt Georg King, „sie hinterlässt große Fußspuren.“ King ist Sozialforscher in Harvard, er ist seit Jahren der Überwachung in China auf der Spur. Zunächst schaltete er sich und viele anonyme Helfer einfach in soziale Netzwerke ein – es gibt hunderte in China – und schaute, was von Geisterhand gelöscht wird. Dabei stieß er 2013 auf den von ihm „völlig unerwarteten Befund“, dass auch bei politisch hochsensiblen Themen das meiste durchgeht – 76 Prozent –, mit einer Ausnahme: Wo immer zum Aktionismus aufgerufen wird, schneidet die Schere kantenscharf.

„Kollektives Aktionspotenzial“

Es gehe der Zensur um das „kollektive Aktionspotenzial“, schloss King, aber sicher konnte er nicht sein. Er hatte nur Überblick über die als gelöscht ausgewiesenen Beiträge, nicht über die, die nie erschienen, sondern sofort unterdrückt wurden. Zur Klärung gründete er (unter Decknamen) ein eigenes soziales Netzwerk in China. Dafür gibt es Spezialfirmen; diese verkaufen auch Zensursoftware und weisen ein. Es gibt viele Varianten, manche schauen auf Reizworte, andere auf übliche Verdächtige etc. – King vermutet, dass das von der Regierung gefördert wird: Wettbewerb belebt die Zensur (Science, 22.8.).

Aber im Mittelpunkt stehen doch die Menschen. Die Maschinen bzw. ihre Programme fischen nicht engmaschig genug im Netz, das erfuhr King in Interviews mit Zensoren, das erlebte er in seinem eigenen Netzwerk, in dem er fiktive Botschaften verschickte. Dem begegnete er auch, als er, mit allen Feinheiten vertraut, sich wieder in echte soziale Netzwerke einklickte bzw. -mischte, es gibt staatliche und private, in Ersteren wacht die Zensur schon, wenn ein Posting eingeht, Letztere sichten erst später, nach 24 Stunden ist die Arbeit getan.

Aber das Prinzip ist bei Mensch und Maschine dasselbe. Kritik geht durch, auch harte – offenbar ist sie als Frühwarnung durchaus erwünscht –, Aufrufe zu Aktionen werden unterdrückt, auch Aktionen, die nur im virtuellen Raum des Netzes spielen: Im Mai 2013 nahm ein Grundschullehrer in Hainan sechs Schülerinnen mit in ein Hotelzimmer. Eine Feministin bekam Wind, fotografierte sich selbst mit einem Zettel, auf dem sie den Lehrer aufforderte, die Kinder freizulassen und sie selbst zu nehmen. Die Telefonnummer stand dabei, das ging in die elektronische Post. Binnen Kurzem folgten 911 andere Frauen. Die Zensoren leisteten ganze Arbeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2014)

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