Alarm im Darm: Forscher klären Mechanismus

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Auch ein bislang als unbedenklich geltender Keim kann zu schweren Darmentzündungen führen: Grazer Forscher haben „Klebsiella oxytoca“ erforscht. Die Ergebnisse sollen eine gezieltere Behandlung bringen.

Können auch „normale“ Darmbakterien krank machen? Ja, wenn sie nämlich mit Antibiotika in Berührung kommen. Eine Grazer Forschergruppe von Uni, Meduni und TU Graz hat gemeinsam mit Medizinern der Charité in Berlin den Krankheitsmechanismus erforscht, den das Bakterium „Klebsiella oxytoca“ im menschlichen Darm auslöst. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichte sie eben in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS), der Zeitschrift der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften.

Klebsiella-Bakterien kommen in der Natur in Wasser und Erde vor und bei Säugetieren vor allem im Magen-Darm-Trakt. „Eigentlich sind die Keime dort ,normale Bewohner‘“, so die Studienautoren Ellen Zechner und Georg Schneditzvom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz.

Dass Antibiotika das mikrobielle Gleichgewicht im Darm massiv stören können, war bekannt: Sie töten auch Bakterien der natürlichen Darmflora und verursachen so ein Ungleichgewicht der Kleinstlebewesen im Körper. „Neu ist die Erkenntnis, dass Antibiotika mit Klebsiella oxytoca ein bislang als unbedenklich geltendes Bakterium zum Wachsen anregen“, sagen die Molekularbiologen.

Krankmacher im Menschen

Der Krankmacher ist also im Menschen selbst und vermehrt sich so stark, dass er schließlich die gesamte Darmflora dominiert. Dabei bildet er mit dem Toxin Tilivallin ein bakterielles Stoffwechselprodukt, das bisher noch nicht mit Erkrankungen in Verbindung gebracht wurde: Es zerstört die Zellen der Darmschleimhaut – die Barriere zwischen den Bakterien im Darm und dem menschlichen Körper kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Folge sind schwere Darmentzündungen mit blutigem Durchfall.

Tritt das Krankheitsbild auf, sind Antibiotika sofort abzusetzen: Dann regeneriert sich die Darmflora, das Bakterium wird durch die natürliche Besiedelung wieder unterdrückt. Betroffen sind geschätzte fünf Prozent der Bevölkerung, die das Bakterium in sich tragen. Aber auch andere Bakterien könnten sich nach demselben Prinzip von unbedenklichen zu krankmachenden Keimen wandeln, vermutet Högenauer von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Meduni Graz.

Ziel ist daher, Risikopatienten schon im Vorfeld zu identifizieren und gezielt Behandlungsalternativen für sie zu suchen. Das könnte mit sogenannten PCR-Tests, das sind Polymerase-Kettenreaktionen, die als Standardverfahren für den genetischen Nachweis von Krankheitserregern gelten, erfolgen. Diese müssten allerdings auf das Genom der Bakterienstämme zugeschnitten werden, so die Forscher.

Auch das Toxin Tilivallin will man weiter erforschen: Offen sei etwa, wie es den Körper dauerhaft beeinflusst – ähnliche Substanzen seien sogar als Chemotherapeutika im Einsatz.

Unterschätzte Darmbakterien

Darmbakterien sind bisher erst wenig erforscht: „Sie waren im Labor schwierig zu züchten und wurden bislang insgesamt eher unterschätzt“, sagt Högenauer, der „das komplexe Ökosystem in uns besser verstehen“ will. „Heute gehen wir aber davon aus, dass diese Bakterien das Immunsystem und den Stoffwechsel entscheidend prägen.“ Das könne auch für viele andere Krankheiten relevant sein.

LEXIKON

Klebsiella-Bakterien sind Stäbchenbakterien, die in der Natur in der Erde und im Wasser vorkommen. Beim Menschen sind sie vor allem im Magen-Darm-Trakt beheimatet und galten dort bislang als ungefährlich.

Tilivallin ist ein Toxin, das von Klebsiella-Bakterien im Körper gebildet wird. Bei Kontakt mit speziellen Antibiotika kommt es zu einer übermäßigen Produktion des Stoffwechselprodukts, das in der Folge die Darmschleimhaut angreift.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

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