Musiktage Mondsee: So modern konnte Brahms sein

Auryn Quartett
Auryn Quartett(C) Musiktage Mondsee
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„Johannes Brahms – Weggefährten und Widersacher“ ist das Thema des Festivals. Zur Eröffnung hörte man u.a. faszinierende Lieder von Mayako Kubo.

Eine Woche lang, bis 6.September, wandert man am Mondsee musikalisch auf den Spuren von Johannes Brahms. Das funktioniert ganz praktisch und haptisch etwa mit einer Landpartie, bei der die Wegmarken des norddeutschen Komponisten im Salzkammergut abgewandert werden, oder via Filmvorführung: „Lieben Sie Brahms?“ von Regisseur Anatole Litvak aus dem Jahr 1961, mit Ingrid Bergman.

„Brahms – Weggefährten und Widersacher“ ist heuer das Thema des Festivals, damit angesprochen ist u.a. der historische Streit zwischen den evolutionären „Brahminen“ und den revolutionären „neudeutschen“ Wagnerianern. Das Konzertprogramm zeigt freilich, dass schon im ausklingenden 18.Jahrhundert nicht alles so heiß gegessen wie gekocht wurde.

Vergleiche mit Bartók

Matthias Lingenfelder, Primgeiger des seit 2011 mit der künstlerischen Leitung der Musiktage Mondsee betrauten Auryn Quartetts, war federführend bei der Programmauswahl und bewies nicht nur bei den Künstlereinladungen ein geschicktes Händchen, sondern beschert auch spannende Hörerlebnisse: Neben den Hauptprotagonisten Wolf, Wagner und Tschaikowsky hört man am 4. September etwa Brahms' ungarische Seite im Vergleich zu Ernst von Dohnányi und Béla Bartók.

Just das Eröffnungsstück im „Antipoden“-Konzert, Brahms' Erstes Streichquartett op. 51, wollte leider so gar nicht zünden. Freilich, man könnte das Werk „verkopft“ nennen, wenn man Brahms' jahrzehntelanges Ringen mit dieser klassischen Kammermusikform bedenkt. Man könnte es auf die „Bürde“ schieben, die der wohlmeinende Robert Schumann seinem jüngeren Kollegen mit seinem berühmten „Genie“-Artikel gleich zu Beginn seiner Karriere auferlegt hat. Das Lob war eine schwer zu bewältigende Hypothek.

Doch kann man die beiden Ecksätze wahrlich packender angehen, das Rastlose, Drängende, das Brahms in den Geigen ganz einfach mit ständigen Achtelpausen und daran anstürmenden Tonrepetitionen schafft, beherzter profilieren. Von der komponierten Maßlosigkeit war hier keine Spur. Dass ausgerechnet punktgenau nach dem letzten Akkord der Romanze, in der seltsamerweise das Cello im sonst sehr kultivierten Quartettspiel unangenehm hervorstach, eine Dame aus dem Publikum kollabierte und so das Konzert unterbrochen werden musste, nahm auch noch die restliche Spannung heraus.

Wie anders war die Konzentration bei den „Sanriku“-Liedern der heute wohl bedeutendsten japanischen Komponistin Mayako Kubo, die bei den Musiktagen Composer in Residence ist! Wie ausgewechselt die Spieler, verstärkt durch Kontrabassist Ernst Weissensteiner, boten sie der jungen Sopranistin Sarah Luise Traubel für die drei knappen Lieder eine atemberaubende Klangkulisse. Kubo schuf mit der Vertonung der Gedichte von Meiko Matsudaira ein packendes Stück im Andenken an die Tsunami-Opfer 2011.

Viel Pathos und Vibrato

Ihre Kinderstube – Studien bei Roman Haubenstock-Ramati und Friedrich Cerha in Wien – wirkt bis heute nach, ihre Wortvertonungen imitieren elektroakustische Experimente: Allein wie die in Berlin lebende Kubo das Wort „Spaltung“ in der ersten Violine vorbereitet, ist ganz große und, viel wichtiger noch, fesselnde Kunst. Wie es überhaupt erfreulich ist, dass heutige Stücke mithilfe von Komponistenporträts auch nach der Uraufführung gespielt werden und nicht in der Schublade verschwinden, wie es das traurige Los vieler Bühnenwerke ist. Gegen dieses Los kämpft ein avanciertes Ensemble im Opernstudio Zürich an, dessen Mitglied Sarah Traubel ist. Sie sang Kubos dreizeilige „Sanriku“-Lieder, deren Name von der Gegend rund um Fukushima herrührt, mit so viel Pathos und Vibrato wie möglich. Gewiss hat man diese Lieder – bei der Uraufführung in Berlin – nicht minder eindringlich und doch schnörkellos gerade gehört, doch überzeugte Traubels Interpretation nicht weniger.

Das Überraschendste an diesem Abend war aber, dass sich Anton Bruckners einziges bedeutendes Kammermusikstück, das Streichquintett F-Dur, nach Kubos Liedern im Rückspiegel fast ebenso modern ausnahm: in seiner Fahrigkeit, den Ecken und Kanten, den jähen Generalpausen, dem rastlosen Durchwandern aller Tonarten. Besonders die beiden mittleren Sätze gerieten dem Auryn-Quartett wie aus einem Guss. Im Andante nun endlich, einem der berückendsten Stücke Bruckners, spürte man zum ersten Mal inniges Zusammenspiel des seit immerhin 30 Jahren bestehenden Quartetts, besonders im Lento-Teil traten die zweite, sich harmonisch einfügende Bratsche von Matthias Buchholz und Jens Oppermann als Sekundgeiger famos hervor.

So wurde einem im direkten Vergleich zu den mittleren Sätzen von Brahms an diesem Abend bewusst: Die „Antipoden“ Brahms und Bruckner hatten mehr gemeinsam als die Vorliebe für G'selchtes, Sauerkraut und Knödel im Wiener Wirtshaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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