Sind Österreichs Schulen dumm? Nein, aber es lebe das Negative!

Manche Aussagen zum Schulwesen hierzulande kommen einem Rufmord gleich. Demgegenüber wird in den USA den „hart arbeitenden Lehrern“ öffentlich gedankt.

Seit einigen Wochen prangt auf Plakaten und in Inseraten die Werbung eines privaten Fernsehsenders. „In Österreich macht Dummheit Schule“, liest man da. Geht man auf eine Schlagzeile wie diese ein, gerät man in ein Dilemma: Kritisiert man den Slogan, verstärkt man seine Beachtung. Lässt man ihn unwidersprochen, kann das als Zustimmung verstanden werden. Überdies will man ja nicht jedem Schwachsinn zwei Zeitungsspalten widmen – „Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge“, heißt es bei Berthold Brecht.

Bleiben wir dennoch bei dem Plakat. Wen können denn seine Auftraggeber als die Urheber der „schulischen Dummheit“ vermutet haben? Einem frühen Einstieg in den Lehrberuf und der Ministerialverwaltung verdanke ich die Bekanntschaft mit allen Unterrichtsministerinnen und -ministern seit 1970. Über die Ideen der einzelnen Ressortverantwortlichen und ihre Vertrautheit mit der Schulrealität gibt es unterschiedliche Meinungen. Eines aber ist sicher: Jemand, auf den die Bezeichnung „dummer Mensch“ zutrifft, war nicht darunter. Die Ministerinnen und Minister wollten die Schule besser, nicht dümmer machen.

Wenn es nun nicht die Ressortverantwortlichen sind: Wer sonst macht die Schule dumm? Sind die Landesschulräte schuld? Wer nun behauptet, dass Persönlichkeiten wie der Universitätsprofessor und Landesschulratspräsident Bernd Schilcher oder der langjährige oberösterreichische Präsident und Pädagogikprofessor Hannes Riedl eine „dumme“ Schulpolitik gemacht hätten, muss sich die Gegenfrage nach der eigenen Intelligenz gefallen lassen.

Schilcher, Riedl und andere sind Fachleute, die ihr Schulwesen mit Sachkenntnis und Augenmaß geführt haben. Und das ist keine Kleinigkeit. Die Schulverwaltung ist der größte „Konzern“ der Bundesländer. In Wien allein etwa arbeiten 20.000 Lehrerinnen und Lehrer an 600 Standorten, nur im Spitalswesen gibt es noch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand die Gesundheitslandesräte ersatzlos streichen möchte. Nein, die Landesschulräte machen die Schule nicht dumm: Die heutigen Schulpräsidenten von Ober- und Niederösterreich etwa wären gute Unterrichtsminister.

Wer also macht dann die Schulen „dumm“? In der Hierarchie kommen wir zu den Schulaufsichtsbeamten, den Direktorinnen und Direktoren und den Lehrerinnen und Lehrern. Sie habe ich mehr als 30 Berufsjahre lang in allen Höhen und Tiefen kennengelernt. Reibungslos war es selten. Um mit François Truffaut zu sprechen: Wir küssten und wir schlugen uns. Aber selbst, wenn man ausschließlich die sorgenschwersten Erlebnisse mit der Lehrerschaft nennt – enttäuschten Idealismus etwa, mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten oder persönliche Lebenszweifel, die auf den Unterricht abfärben – und alles Gute beiseitelässt: Kann man ernstlich behaupten, dass es Schulaufsichtsbeamte, Schulleiterinnen und -leiter oder Lehrerinnen und Lehrer gibt, die in den Schulen vorsätzlich Dummheit herbeiführen?

Der Slogan, dass in Österreich Dummheit Schule mache, ist infam. Niemand würde behaupten, bei uns trügen Polizisten zu Verbrechen oder Spitäler zu Volkskrankheiten bei. Die Schule aber ist „dumm“ – vor allem in den Augen derer, die ihr die widersprüchlichsten Aufgaben zuschreiben.

Da fordert der Schriftstellerverband mehr klassische Dichtung und zeitgenössische Literatur im Unterricht und die Sicherheitsbehörden bitten die Schulen, die Jugendlichen gegen Hassprediger zu immunisieren und das Abgleiten in Sekten zu verhindern. Beide Forderungen sind berechtigt, aber nicht einmal Götter könnten sie zur Gänze erfüllen.

In den USA habe ich immer wieder Plakate mit der Aufschrift „Thanks to all our hard-working teachers“ gesehen. Bei uns lese ich „In Österreich macht Dummheit Schule“. Die Frage nach der Dummheit ist legitim: Sie richtet sich an jene, die solche Slogans erfinden und verbreiten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2014)

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