Das Phantom von Pjöngjang

North Koreans offer flowers as they visit the statues of North Korean late leaders Kim Il Sung and Kim Jong Il at Mansudae in Pyongyang
North Koreans offer flowers as they visit the statues of North Korean late leaders Kim Il Sung and Kim Jong Il at Mansudae in Pyongyang(c) REUTERS (KYODO)
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Diktator Kim Jong-un bleibt unsichtbar. Und mit jedem Tag seiner Abwesenheit gibt es neue Spekulationen. Demnach könnte die 27-jährige Schwester, Kim Yo Jong, den „großen Führer“ beerben.

Pjöngjang. Rituale bedeuten in Nordkorea beinahe alles. Dazu zählt jenes am Jahrestag der Gründung der kommunistischen Einheitspartei, wenn Kim Blumen am Mausoleum seiner Vorgänger, Großvater Kim Il-sung und Vater Kim Jong-il, ablegt und die Huldigungen des gleichgeschalteten Volkes auf der Ehrentribüne abnimmt. Doch der „große Führer“ fehlte auch gestern bei dieser Feier. Es gab nur ein bizarres Blumengebinde für ihn selbst – wie für einen Toten. Die Parade nahm anstelle des Führers Marschall Hwang Pyong So ab.

Eine Begründung für Kims Abstinenz lieferte das Regime nicht, beteuert aber weiter, Kim sei im Vollbesitz der Macht. Aber wo und wie übt er diese aus? Südkoreas Presse will aus zuverlässigen Quellen wissen, der 31 oder 32 Jahre alte Diktator erhole sich in einem Parteisanatorium. Man kann das auch Hausarrest nennen, wie Pjöngjang-Experten vermuten.

Nordkoreas Propaganda zufolge leide Kim bloß an „Unwohlsein“. Allein die Tatsache, dass sich ein TV-Nachrichtensprecher öffentlich zu körperlichen Gebrechen des Führers äußert, ist ein Alarmsignal. Bei beiden Vorgänger-Kims erwiesen sich solche Verlautbarungen als vorgezogener Nachruf.

Südkoreanische Zeitungen spekulieren auch über einen anderen Grund für die Kim-Abstinenz: Demnach werde derzeit bei der UNO in New York eine geheime Resolution zur Verletzung der Menschenrechte in Nordkorea vorbereitet, in deren letzter Konsequenz versucht werden soll, Kim vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Auch wenn das angesichts des Einflusses von China und Russland utopisch wirkt, mag es Pjöngjangs Elite dennoch als potenzielle Bedrohung erscheinen. Die Sorge, noch weiter isoliert zu werden, könnte ein Grund dafür sein, dass Kim in der politischen Versenkung verschwunden ist.

Eine vorzeitige Absetzung Kims käme in Nordkorea, mit seiner weltweit einzigen kommunistischen Dynastie, einem Erdbeben gleich.

In direkter Linie steht der bisher einzige Sohn des Diktators, aber der ist noch ein Baby und kommt für höchste Würden selbst in Nordkorea nicht infrage. Die Brüder des Führers sind ein spiel- und alkoholsüchtiger Lebemann, der sich mit Staatsgeld in Macao austoben darf, und ein verweichlichter Nebendarsteller, dem schon sein Führervater nichts zutraute. Plötzlich taucht nun eine Schwester des Diktators auf, die bisher zumindest kein ausländischer Beobachter so richtig auf der Rechnung hatte. Kim Yo Jong ist wohl 27 Jahre alt, arbeitet auf der mittleren Führungsetage Nordkoreas, zuletzt als persönliche Assistentin des Machthabers. Sie soll auch seine Termine koordiniert haben.

„Hochrangige Funktionärin“

Über die Frau weiß man darüber hinaus nur sehr wenig. Laut der Internetseite North Korea Leadership Watch soll sie am 26. September 1987 als Tochter der dritten Ehefrau des „geliebten Führers“ Kim Jong-il geboren und in einer streng abgeschirmten Residenz ihrer Mutter in Pjöngjang aufgewachsen sein. Angeblich wurde sie wie auch ihr Bruder an einem Elite-Internat im Kanton Bern ausgebildet – unter falschem Namen und als vermeintliches Kind einer Diplomatenfamilie. Beim Urnengang zur Wahl des Scheinparlaments am 9. März dieses Jahres wurde Kim Yo Jong erstmals groß im Staatsfernsehen gezeigt. Seither lautet ihre offizielle Bezeichnung „hochrangige Funktionärin der Kommunistischen Partei“.

Schwester Kim wäre wohl bestenfalls eine „Kronprinzessin“, um den Schein der Dynastie zu wahren. Wenn in einem System, das über Dekaden auf Einzelführerschaft ausgerichtet war, plötzlich einflussreiche Interessengruppen offen konkurrieren, könnte es mit der Scheinstabilität Nordkoreas schnell vorbei sein, die großen Nachbarn könnten auf Einfluss drängen – und das Thema der Wiedervereinigung könnte wieder auf den Tisch kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2014)

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