Viennale 2014: Festival der Beispiellosen

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Am 23. Oktober eröffnet die Viennale mit Jessica Hausners „Amour Fou“. Auch heuer setzt das Filmfestival auf Unbequemes, Unartiges und Unnachgiebiges. Ein erstes Einfühlen in das Programm.

Aussieben, so nennt man gemeinhin den Vorgang, wenn aus Viel Wenig wird und hoffentlich nur die Gustostückerl und Gemmen übrig bleiben. Die Viennale, Österreichs größtes Filmfestival, hat eine andere Strategie entwickelt, um zur Essenz der (Kino-)Dinge zu kommen. Und die hat einen Namen: Hans Hurch. Der langjährige Viennale-Direktor ist bekannt für seine Liebe zu den unbequemen, politisch aktivierten, häufig auch marginalisierten Kapazundern des Kunstfilms. Seit der gestrigen Pressekonferenz ist klar, dass auch im heurigen Programm die Beispiellosen regieren und Linien legen durch das voluminöse Programm.

Dem diesjährig verstorbenen deutschen Regisseur Harun Farocki ist etwa eines der Tributes gewidmet: Über Jahrzehnte hinweg hat der Filmemacher in seinen dokumentarischen, essayistischen Arbeiten nach neuen Bildern zur Wirklichkeit gesucht - und sie häufig auch gefunden. Seine Kunst war eine Queste, so abgesetzt von der kapitalistisch durchgewalkten Filmindustrie mit ihren grotesken Anforderungen und Erwartungen, dass sie sich an einem Punkt naturgemäß mit dem Oeuvre von Jean-Marie Straub und Daniéle Huillet treffen musste. Eine von Farockis Kurzarbeiten zeigt den Regisseur dabei, wie er mit Straub und Huillet seinen Auftritt in ihrem Film “Klassenverhältnisse” vorbereitet.

Apropos Straub: gleich drei neue Arbeiten, zwei kurze und eine lange, stehen im Programm von Hurchs Viennale. Aber es führen noch mehr Wege zu Harun Farocki: der US-Dokumentarist James Benning schenkt seinem viel zu früh und viel zu plötzlich verstorbenen Kollegen einen von zwei neuen Filmen. In „Farocki“ filmt er 77 Minuten lang eine Wolke am Himmel. In „Natural History“ steigt Benning dann in den Keller des Wiener Naturhistorischen Museums hinab und liefert damit auch ein schönes Komplementärerlebnis zu „National Gallery“ des US-Dokumentarfilmers Frederick Wiseman: der durchmisst darin die Titelgebende Institution in London in knappen drei Stunden.

Und dann ist da noch Godard: Ein Regisseur, zum Monument erstarrt, der in seinem neuen Film „Adieu au Langage“ eindrucksvolle Beweglichkeit demonstriert. Godard dekonstruiert launig, lustig und lyrisch nicht nur die Filmsprache, sondern die Sprache überhaupt. All das im alle Sinne erschütternden 3D, das bei ihm freilich nicht immersiv eingesetzt, sondern wie alles andere zerlegt wird: ein Werk voll kindlicher Heiterkeit. Aber auch abseits solcher Grundpfeiler der Viennale kredenzt das Wiener Filmfestival Erbauliches. Da wären etwa zwei von Japanern gefahrene Generalattacken aufs Zuschauerhirn. In „Why don’t you play in Hell?“ des mittlerweile international gefeierten Punk-Poeten und Filmemachers Sion Sono wird das Filmemachen selbst zum Thema gemacht und gleichzeitig ad absurdum geführt.

Sein Landsmann Takashi Miike betreibt in seinem Meisterstück „Over your dead body“ ein ähnlich gelagertes, aber grundverschieden exekutiertes Sinnieren über das Kino selbst: eine alte Geistergeschichte wird darin in ein opulentes Theaterstück übersetzt, während die Schauspieler in der Jetztzeit bald an Obsessionen, Possessionen, Passionen und anderen Unheimlichkeiten zugrunde gehen. Das ausufernde Programm, das unter anderem ein sehenswertes Tribute an Viggo Mortensen und eine ziemlich inspirierte Schau zum komplett marginalisierten 16mm-Film inkludiert, insgesamt zu fassen wäre zu viel verlangt von einem einzigen Text.

Aber so viel sei noch gesagt: Wer am 25. Oktober um 21 Uhr nicht im Metro Kino sitzt hat verloren, jedenfalls in Kinodingen. Dann nämlich wird der letzte Film des russischen Ausnahmekünstlers Alexei German gezeigt: „Hard to be a God“ transformiert den gleichnamigen Science-Fiction-Roman der Strugatsky-Brüder in eine mittelalterliche Parallelwelt, eingefangen in unmöglich erscheinenden Kameraflügen, über sechs Jahre lang – von 2000 bis 2006 - komplett in den legendären Moskauer Lenfilm-Studios gedreht. Nach ewiger Postproduktion steht ein Behemoth aus Dreck und Scheiße vor einem, stinkend, ekelhaft, eine Zumutung. „Hard to be a God“ ist wahrlich ein Erleben und Erleiden sui generis. Ein Schwarz-Weiß Film, neben dem alles andere verblasst. Alexei German ist noch vor Fertigstellung verstorben. Auch er war einer der Beispiellosen.

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