Plagiate: „Man muss vor Panikmache warnen“

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GERMANY PEOPLE GUTTENBERG(c) EPA (TOBIAS KLEINSCHMIDT)
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Der Jurist Stephan Rixen, der sich an der Uni Bayreuth mit der Dissertation des deutschen Ex-Ministers Guttenberg befasste, fordert einen differenzierten Umgang mit Plagiaten. Auch eine Verjährung sei denkbar.

Die Presse: Ihr Abschlussbericht über die Dissertation des deutschen Ex-Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg war vernichtend. Haben Sie seitdem mit so dreisten Plagiaten zu tun gehabt?

Stephan Rixen: Solche Extremfälle sind selten. Und man muss aufpassen, sie nicht zum Urmeter für die gesamte Debatte zu machen.

Weiß inzwischen jeder, was ein Plagiat ist – und was nicht?

Grob weiß man das wohl schon. In der Praxis sind die Fälle aber nicht so eindeutig wie die, die wir beim Begriff Plagiat vor Augen haben.

Was ist denn nicht eindeutig?

Man scheint manchmal in Versuchung zu geraten, nur noch Wörter zu zählen und zu prüfen, was identisch ist. Vor zu strengen Formalisierungen sollte man sich aber hüten, denn sie führen in die Irre. Es geht nicht nur um das Zählen von Wörtern. Es geht doch darum, ob Innovatives übernommen wird. Das ist der Kern des Plagiats.

Einen ohnehin bekannten Sachverhalt nicht korrekt zu zitieren wäre kein so großes Problem?

Meiner Meinung nach sollte man nach dem Innovationsgehalt fragen. Wenn es um Selbstverständlichkeiten geht – diese gibt es ja auch in der Wissenschaft –, sollten wir nicht ganz so streng sein. In den Naturwissenschaften wird das auch teilweise so gehandhabt.

Nach Plagiatsvorwürfen ist es so: Der Titel ist weg – oder nicht. Ist dieser Zugang adäquat?

Das ist eine fatale Verkürzung der Problematik. Das Leben ist ja auch nicht schwarz und weiß. Wir brauchen Lösungen dazwischen.

Wie könnten diese aussehen?

Das reicht von einer Möglichkeit, eine Arbeit nachzubessern und Noten nachträglich zu korrigieren bis zu förmlichem Tadel – und irgendwann ist auch der Titel weg. Es wäre angebracht, Promovierenden nicht mit so einer Hermeneutik des Verdachts zu begegnen. Wichtiger als Sanktionen ist aber, dass ein Bewusstsein für die gute wissenschaftliche Praxis gepflegt wird. Das muss auch bei den Lehrenden ständig mitlaufen.

Werden Absolventen von der Debatte über Plagiate teilweise auch im Nachhinein verunsichert?

Dass Leute nachträglich Fehler erkannt haben wollen und die Arbeit gern zurückziehen möchten, ist ein zunehmendes Problem. Da muss man sagen: „Macht euch nicht verrückt.“ Fehler passieren. Und nicht jeder Fehler ist wissenschaftliches Fehlverhalten. Da muss man vor Panikmache warnen. Es gibt eine internationale Diskussion darüber, jeden Sorgfaltsverstoß als wissenschaftliches Fehlverhalten auszuweisen. Diese Tendenz halte ich für falsch.

Ist es sinnvoll, jahrzehntealte Arbeiten nach heutigen Standards auf Plagiate zu prüfen?

Dann könnten wir auch Kant und Hegel überprüfen lassen. Das wäre absurd. Es gibt bestimmte eindeutige Regeln, die immer geblieben sind. In anderen Punkten hat sich die Zitationspraxis massiv verändert. Zum Beispiel wurde früher teilweise großzügiger paraphrasiert.

Was halten Sie von einer Verjährung bei Plagiatsvorwürfen?

Wenn ein akademischer Titel vor mehr als 30 Jahren erworben wurde, sollte er vielleicht nicht mehr aberkannt werden können. Untersuchen sollte man die Vorwürfe aber trotzdem können. (beba)

ZUR PERSON

Stephan Rixen (47) lehrt öffentliches Recht an der Uni Bayreuth. Er ist Vorsitzender der dortigen Selbstkontrollkommission, die 2011 die Dissertation von Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg untersuchte. Morgen spricht er bei der Uni-Tagung zu Plagiaten in Wien. Infos: uniko.at. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2014)

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