Albaniens Adler über Belgrad

Albanian soccer fans react with national flags in Tirana, after the Euro 2016 qualifier between Serbia and Albania was abandoned
Albanian soccer fans react with national flags in Tirana, after the Euro 2016 qualifier between Serbia and Albania was abandonedREUTERS
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Warum eine bizarre Flaggendrohne nicht nur den Abbruch des Fußballmatchs Serbien–Albanien auslöste, sondern auch politische Turbulenzen.

Belgrad. Wenn es schiefgeht, sind auf dem Balkan immer die anderen schuld. Selbst die Ordner im Belgrader Partizan-Stadion hätten im Spielertunnel noch auf die albanischen Nationalspieler eingeprügelt, empörte sich Kapitän Lorik Cana nach dem vorzeitig abgebrochenen Gastspiel in Serbiens Hauptstadt: „Wir waren psychisch einfach nicht in der Lage, das Spiel noch fortzusetzen.“ Auch für Serbiens aufgebrachten Außenminister Ivica Dacić sind die Verantwortlichen für das Skandalspiel Serbien– Albanien ausgemacht. Von einer „vorab geplanten politischen Provokation“ sprach der Chefdiplomat: „Für den Abbruch dieses Spiels trägt Serbien keine Verantwortung.“

40 Minuten lang drohte der auf den Rängen wütende Mob den Gästen lautstark und ununterbrochen sexuellen Missbrauch und Totschlag an, während die Kicker auf dem Rasen im Feuerwerkskörperhagel verbissen kämpften. Ein grünes Glimmen hinter dem serbischen Tor kündete schließlich in der 41.Minute die radikale Wende und das vorzeitige Ende des EM-Qualifikationsspiels an: Von unsichtbarer Hand gesteuert kreiste eine Drohne mit einer großalbanischen Flagge minutenlang über den Köpfen des tobenden Publikums.

Fußball ist auf dem Balkan mehr als nur ein Spiel, sondern eine Art Ersatzkrieg für frustrierte Nationalistenseelen. Zwar gab es zwischen Albanien und Serbien seit mehr als einem Jahrhundert keinen direkten Waffengang. Doch der Streit um den überwiegend albanisch besiedelten Kosovo belastet die Beziehungen zwischen den Staaten.

Nordalbanien war im Kosovokrieg 1999 die Aufmarschbasis für die Untergrundarmee UÇK. Gleichzeitig war Albanien 2008 einer der ersten Staaten, die die von Serbien bis heute als illegal betrachtete Unabhängigkeit des Kosovo anerkannten. Und weil der Staatenneuling noch immer nicht Mitglied der Uefa und Fifa ist, tragen nicht zuletzt ein halbes Dutzend von im Kosovo geborenen Kickern das albanische Nationaltrikot auf ihrem Leib.

Chaotische Zustände

Eigentlich hat Albaniens Anhang international keinen schlechten Ruf. Doch vor allem aus Angst vor albanischen Fans aus dem Kosovo setzte der serbische Fußballverband FSS nach wochenlangem Tauziehen ein Anreiseverbot für die Gästefans durch. Aber trotz eines Großaufgebots von 4000 Polizisten und auch ohne Gästeblock herrschten schon vor dem Anpfiff chaotische Zustände.

Mehrere Hooligan-Gruppen hatten auf der berüchtigten Südkurve die Ordner überrannt und für drangvolle Enge im völlig überfüllten Stadionrund gesorgt: Selbst der berüchtigte Ivan Bogdanović, der als „Ivan der Schreckliche“ schon bei dem 2010 abgebrochenen Gastspiel Serbiens in Genua gegen Italien eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, wurde wieder einmal beim Erstürmen des Platzes fotografiert. Als kurz vor der Pause auch noch Albaniens Adler über dem Areal zu kreisen begann, explodierte die aufgeheizte Stimmung: Spieler, Betreuer und auf den Rasen geeilte Hooligans lieferten sich minutenlang ein Handgemenge.

Der serbische Verteidiger Stefan Mitrović fischte die Fahne samt Drohne aus der Luft. Die albanischen Kicker wollten den Adler indes nicht zerknüllen lassen. Das niederländische Schiedsrichtergespann vermochte den aus dem Ruder geratenen Rudelkampf nur mit Mühe zu beenden, es schickte die Spieler in die Kabine.

Ausgerechnet der Bruder von Albaniens Premier, Edi Rama, wurde hernach von Serbiens Polizei verdächtigt, aus der Ehrenloge die provokante Flaggendrohne gesteuert zu haben: Als erster albanischer Regierungschef seit 70Jahren sollte der Regierungschef nächste Woche eigentlich zu einem Staatsbesuch nach Belgrad reisen. Erst nach Intervention des albanischen Botschafters und ausländischer Diplomaten bestieg dessen zeitweise festgesetzter Bruder Olsi in der Nacht auf Mittwoch noch das Flugzeug zurück nach Tirana. Mit dem Drohnenflug habe er „absolut nichts“ zu tun, versicherte er nach seiner Heimkehr.

Wie Hakenkreuzfahne in Israel

Doch für Serbiens Öffentlichkeit ist Olsi Rama als Schuldiger für den Spielabbruch ausgemacht. „Die Albaner sind an allem schuld“, titelte der „Informer“. Über eine „perfide Provokation der Albaner“, erregt sich die Zeitung „Alo!“. „Stellen Sie sich vor, Israel empfängt Deutschland, und jemand entrollt eine Hakenkreuzfahne mit dem Kopf Adolf Hitlers“, empört sich Goran Milanovic, Vizechef des Fußballbunds FSS.

Ob Premier Edi Rama nächste Woche noch nach Belgrad reist, scheint mittlerweile eher zweifelhaft, obwohl die albanische Verteidigungsministerin, Mimi Kodheli – eine Rama-Vertraute –, dies bekräftigt hat: „Die Entscheidung, Belgrad nach so vielen Jahrzehnten zu besuchen, ist ein wichtiger Schritt für alle auf dem Balkan, für uns alle, die Nachbarn sind und die uns wechselseitig auf dem Weg in die europäische Integration und die Nato helfen können.“

Er und seine Mitspieler hätten die albanischen Kollegen im Spielertunnel vor Angriffen geschützt, versicherte der nach dem Spielabbruch niedergeschlagene Kapitän Serbiens, der Chelsea-Spieler Bane Ivanović. „Was geschehen ist, können wir nur schwer fassen. Der Fußball spielte leider nur eine Nebenrolle.“ Seiten 9 und 14

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2014)

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