Die Welt bis gestern: Julius Raab: Einmal Sappeur, immer Pionier

Porträtsitzung. Für ein ÖVP-Wahlplakat mit Raab bekam der Maler des Staatsvertragsbildes, Robert Fuchs, den Zuschlag.
Porträtsitzung. Für ein ÖVP-Wahlplakat mit Raab bekam der Maler des Staatsvertragsbildes, Robert Fuchs, den Zuschlag. (c) Archiv des Karl-von-Vogelsang-Instituts
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Ein Nationalrats-abgeordneter verrät die Demokratie. Der Korneuburger Eid als austrofaschistische Kampfansage an das Parlament.

Er war in jungen Mannesjahren ein „Sozifresser“ und Antidemokrat, ein Austrofaschist. Er wandelte sich unter dem Eindruck des Nationalsozialismus zum ideologischen Brückenbauer, führte erfolgreich eine Große Koalition an, erkämpfte 1955 den Staatsvertrag und damit die Freiheit – und ging so in die rotweißrote Hagiografie ein: Julius Raab. Eine politische Führungsfigur der Nachkriegszeit, deren Konturen langsam im Nebel verschwinden. Ein Mann, auf den sich auch heute noch politische Akteure gern berufen, ohne dessen gesamte Lebensleistung zu begreifen. Einer, den das Schicksal an die richtige Stelle gestellt hat.

Als wortkarg beschreibt ihn Friedrich Weissensteiner, als griesgrämig. „Er hatte einen spröden, trockenen Humor, aber Sinn für einen ,g'sunden Schmäh'.“ Intellektuelle, musische oder künstlerische Ambitionen sind von ihm nicht überliefert.

Bürgerlich das Elternhaus in St.Pölten, Vater Baumeister. Der Sohn studiert nach der Matura (in Seitenstetten) an der Technischen Hochschule in Wien ebenfalls Bauingenieurwesen. Da hat er schon mit dem Gymnasiasten Leopold Figl in St.Pölten die Mittelschulverbindung „Nibelungia“ gegründet. In Wien schließt er sich der katholischen Hochschulverbindung „Norica“ an.

Führungsqualitäten

Techniker sind im 1.Weltkrieg gesucht. Der junge Ingenieur dient als Sappeuroffizier an der blutigen Insozofront; beim Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 führt der Oberleutnant seine Kompanie geordnet von der Piavefront zurück in die Heimat. Führungsqualitäten hat er ganz offensichtlich, denn die Leute vertrauen ihm, obwohl er gar keine Befehlsgewalt hat.

Die Baufirma Wohlmeyer in Traismauer ist die nächste Station. Gemeinsam mit seinem Bruder Josef, der die Baumeisterkonzession besitzt, kann Julius einige schöne Aufträge an Land ziehen. Hilfreich dabei ist wohl auch der dritte Bruder Heinrich, inzwischen Bürgermeister von St. Pölten.

1927 schicken die Christlichsozialen Raab in den Nationalrat, wo er 1934 das Ende seiner Partei erleben wird. Am 14.Mai1934, halb vier Uhr, löst sich der Parlamentsklub auf Weisung von Engelbert Dollfuß (siehe Beitrag rechts) sang- und klanglos auf.

Für Raab kein großes Unglück. Längst ist er Führer der niederösterreichischen Heimwehr. Und so steht auch er am 18.Mai1930 auf dem Hauptplatz von Korneuburg, wohin der gesamtösterreichische Heimwehrführer Richard Steidle seine Heerscharen befohlen hat. Diese bewaffneten „Heimatschützer“ stehen spätestens seit dem Justizpalastbrand 1927 in erbitterter Feindschaft zu den Sozialdemokraten und ihrem „Republikanischen Schutzbund“ („Zeitgeschichte“ vom 7., 14., und 21.Juli2007). Und so sagt sich an diesem Tag in Korneuburg auch der Parlamentsabgeordnete Julius Raab von der demokratischen Verfassung los, auf die er eigentlich vereidigt ist. Der 38-jährige Raab schwört – inmitten seiner Heimwehrkameraden – unter anderem:

„[...] Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat. Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Personen der großen Stände und aus den fähigsten und den bewährtesten Männern unserer Volksbewegung gebildet wird.

[...] Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung.

[...] Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der neuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gut und Blut einzusetzen, er kenne die drei Gewalten: den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, das Wort seiner Führer!“

Verfasser ist ein gewisser Walter Heinrich, Nationalökonom und Soziologe, später Professor und Rektor der Wiener „Hochschule für Welthandel“. Heinrich ist von Othmar Spann und dessen „Ganzheitslehre“ fasziniert. Hier sind die ideologischen Wurzeln für die nun folgende Ära des „Ständestaates“ unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg zu finden: „Die Forderung einer ständischen Ordnung hat nur Sinn, wenn ein grundsätzlicher Bruch mit allem Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus erfolgt und auch in der praktischen Politik der Bruch mit Demokratie und Parteienstaat eingeleitet wird“, dekretiert Spann.

Kurz vor dem Kollaps Österreichs, am 16.Februar1938 ernennt Bundespräsident Miklas den Präsidenten des Österr. Gewerbebundes, Julius Raab, zum Handels- und Verkehrsminister. Er plant einige Projekte, die der Arbeitsbeschaffung dienen sollten, er bekommt mehr Budgetmittel für den Hochbau. Aber das muss alles Stückwerk bleiben, am 11.März ist Raab im Kanzleramt, wo ihm Bundeskanzler Schuschnigg das Ende seiner Regierung mitteilt.

„Wehrunwürdig“

Das kleine autoritär regierte Österreich wird an das Deutsche Reich angeschlossen, Raab geht zurück in seine Baufirma. Sein Glück: Er kommt nicht ins KZ, er muss aber auch nicht einrücken – er ist „wehrunwürdig“, mit Aufenthaltsverbot für den „Reichsgau Niederdonau“. So gründete er in Wien eine Baufirma, in der er Gesinnungsfreunde unterbringen und schützen kann. So auch den entlassenen KZ-Häftling und Jugendfreund Leopold Figl. In dessen Gästebuch, das erhalten geblieben ist und von den Figl-Nachkommen gehütet wird, schreibt Raab am 29.Jänner1944 unmissverständlich:

„Bald wird wieder das Frühjahr sein.
Dann gehört die Heimat wieder mein.
Dann bauen wir sie auf zu neuem Leben.
Mag es auch viel Arbeit und Mühe geben.
Sie konnten uns nicht brechen und beugen.
Die Welt wird es einmal müssen bezeugen.
Österreich ist, wird sein, wird bestehen.
Und aller Dreck wird untergehen.

Raab. Julius. Der Chef.“

Über den „Chef“ nach 1945 – nächsten Samstag in der „Welt bis gestern“.

BAUMEISTER AUF GEFÄHRLICHEM TERRAIN: Ing. Julius Raab

Geboren am 29.11. 1891 in St.Pölten.

Offizier im Ersten Weltkrieg (Pionier).

Politiker ab 1927.
Bis 1934 Abgeordneter
zum Nationalrat,
1928 Landesführer Niederösterreich der Heimwehr,

1938 Bundesminister für Handel und Verkehr.

Nach dem Krieg 1945 Staatssekretär für öffentliche Bauten,
1945–1964 Abgeordneter zum Nationalrat,
1945–1953 Klubobmann der ÖVP,
1945–1964 Obmann des Wirtschaftsbundes,
1945–1953 Präsident der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft,
1952–1961 Bundesparteiobmann der ÖVP,
1953–1961 Bundeskanzler,
1961–1964 Präsident der Bundeskammer.

Gestorben am 8. Jänner 1964.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2008)

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