Italien: „Schwerste Krise der Nachkriegszeit“

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Die versprochenen Steuernachlässe unter der Regierung Berlusconi sind bisher halbherzig ausgefallen.

Rom. Der Termin ist günstig gewählt. Pünktlich zum Beginn der Hauptreisezeit blasen Italiens Gewerkschaften zur ersten Kraftprobe mit der Mitte-Rechts-Regierung von Silvio Berlusconi: Seit Sonntagabend steht in ganz Italien für 24 Stunden der öffentliche Verkehr still. Busse und Bahnen, Schiffe und Fähren fahren am Montag höchstens stundenweise – eine Kampfansage an Verkehrsminister Altero Matteoli, mit dem die Gewerkschaften derzeit über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag für das Transportwesen verhandeln. Weil der Minister nach Ansicht der Arbeitnehmer die Liberalisierung zu weit treibt, greifen sie zu diesem probaten Mittel, weitere Streiks etwa der Fluglotsen folgen.

Trotz der Probleme, die dadurch entstehen, können sie sich der Unterstützung vieler Italiener sicher sein, die unter der Last sinkender Realeinkommen und galoppierender Kosten für Lebensmittel und Energie zu verarmen drohen. Auch Giulio Tremonti, Berlusconis Wirtschafts- und Finanzminister, beschrieb die Lage Italiens in dieser Woche drastisch. Das Land befinde sich in der „schwersten Krise der Nachkriegszeit“. Das bekomme nicht nur jeder Italiener in seiner Geldbörse zu spüren, sondern habe Auswirkungen auf die gesamte Lebenshaltung.

Jetzt wurden die Sorgen vieler Italiener durch die jüngsten Befunde der OECD bestätigt: Ihre Gehälter liegen 22 Prozent unter dem Durchschnitt der Industriestaaten und 20 Prozent unter dem der EU-Mitglieder.

Dem verunsicherten und oft verzweifelten italienischen Mittelstand mit Steuernachlässen zu helfen, war deshalb eines der zentralen Wahlversprechen von Silvio Berlusconi – für viele ein Grund, ihn zu wählen. Bereits auf ihrer ersten Sitzung beschloss die Mitte-Rechts-Regierung, Wohneigentum und Überstunden weitgehend von der Steuer zu befreien. Für den Einzelnen bringt das aber nur minimale Erleichterung, insgesamt wird der Steuerdruck kaum abnehmen. Im Finanzplan für die nächsten drei Jahre bleibt die Steuerlast, anders als im Wahlkampf in Aussicht gestellt, bei 43 Prozent des Bruttoinlandprodukts unvermindert hoch. Zudem muss Tremonti 35 Mrd. Euro im Budget einsparen, um die Neuverschuldung in Grenzen zu halten.

Um den Unmut in der Bevölkerung zu dämpfen, sollen noch im Laufe des Sommers zumindest Rentner und Geringverdienende entlastet werden – durch eine höchst umstrittene Maßnahme: Mittels einer so genannten Robin-Hood-Steuer auf die Profite der Mineralölkonzerne soll ein Fonds finanziert werden, um Kleinrentner und andere sozial Schwache zu unterstützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2008)

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