Gyaltsen: „Chinas harte Tibet-Linie ist zum Teil nur Rhetorik“

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Der Chefunterhändler des Dalai Lama hofft, dass Peking nach Olympia entspannter über Tibet verhandelt.

Die Presse: In Ihren jüngsten Verhandlungen hat China Tibet aufgefordert, Olympia zu unterstützen, sonst werde es keinen Dialog geben. Der Dalai Lama hat bereits betont, er unterstütze die Spiele. Wie kann dieser Stillstand aufgelöst werden?


Kelsang Gyaltsen: Es geht wohl um Exiltibeter, die anders als der Dalai Lama denken, die die Spiele nicht fördern. Das ist nicht zu verhindern.


Was erwarten Sie von den nächsten Verhandlungen im Oktober?


Gyaltsen: Wir können hoffen. Beide müssen bindend erklären, eine jeweils akzeptable Lösung zu suchen. Autonomie für Tibet wäre deren Kern. Einen Teil der harten Linie Chinas halten wir für offizielle Rhetorik, einen anderen für realistisch. China könnte nach den Spielen das Gefühl verlassen, es müsse zeigen, dass es bei Tibet von außen nicht gedrängt werden kann. Der Oktober könnte daher Ergebnisse bringen.
Könnten vor den Spielen Protest und Gewalt in Tibet noch steigen?


Gyaltsen: Alles wird beobachtet. Es wäre schwer, Proteste auszudehnen. Zur Gewalt: Ich wüsste nicht, wie es noch schlimmer werden könnte.


Seit März wurden laut Dalai Lama mehr als 200 Tibeter von Chinas Kräften getötet. Belege fehlen großteils. Können Sie Aufschluss geben?


Gyaltsen: Hauptbetroffen war Lhasa. Außerdem Orte in den Provinzen Qinghai und Sichuan (Zentralchina, Anm.). In vielen der tatsächlich mehr als 200 Fälle haben wir Dokumente über Namen und Ort. In anderen konnten Zeugen die Namen der Toten nicht nennen. Der Tod wurde aber jeweils durch mindestens zwei bestätigt. Zumindest 50 bis 60 Fälle haben wir dokumentiert. Manchmal dauert es.


Daher gab es schon den Vorwurf, Tibet betreibe Propaganda, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.


Gyaltsen: Manche haben auch berichtet, Tibeter hätten chinesische Geschäfte angezündet oder Gewalt gegen Chinesen angewendet. Solche Fälle gab es aus Protest, gegen Symbole chinesischer Dominanz. Aber nie hätte ein Tibeter im Land mit Vorsatz einen Chinesen getötet.


Zu wem halten Sie bei Olympia?


Gyaltsen: Ich werde beschäftigt sein. Aber ich hoffe, dass meine zweite Heimat Schweiz etwas Glück hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2008)

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