"Zur Hinrichtung präpariert" - Martin Walser zum Fall Siemens

(c) AP (Fritz Reiss)
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Einer der größten deutschen Schriftsteller der Gegenwart nimmt einige Siemens-Manager vehement in Schutz. Manager anzuprangern sei "deutsch, deutsch bis ins Mark." Großaufträge ohne Bestechung seien oft unmöglich.

Der Schriftsteller Martin Walser hält Bestechung durch deutsche Unternehmen bei der Auftragsbeschaffung für gerechtfertigt. Zudem sieht er Manager wie Heinrich von Pierer oder Klaus Zumwinkel zu Unrecht unter Beschuss.

"Jeder weiß, dass in vielen Ländern Großaufträge ohne Bestechung nicht zu bekommen sind", sagte der 81-Jährige dem Wirtschaftsmagazin "Capital" (Köln). Während in Frankreich "kein Hahn danach kräht, ob Unternehmen bestechen", sei es "deutsch, deutsch bis ins Mark", dass Manager hierzulande an den Pranger gestellt würden.

"Zur Hinrichtung präpariert"

Ausdrücklich verteidigte er im Zusammenhang mit der Schmiergeldaffäre bei Siemens den früheren Vorstands- und Aufsichtsratschef des Konzerns, Heinrich von Pierer: "Hier ist eine öffentliche Person in den Medien mehr oder weniger zur Hinrichtung präpariert worden, ohne dass wirklich etwas nachzuweisen ist."

Mit "vermutungsverdächtigungsvirtuosen Formulierungen" sei über von Pierer berichtet worden, kritisierte Walser, der mit "Angstblüte" 2006 eine Satire um einen Finanzjongleur veröffentlicht hatte. Zum Fall Siemens meinte er zudem: "Meine Vermutung ist, so ein Unternehmen ist derart konstruiert, dass bis zu einer gewissen Ebene alle wissen, wir müssen bestechen, aber wir müssen für den Fall des Falles die Spitze davon freihalten. Dann ist das eine sehr solide, vernünftige Konstruktion."

"Wollüstiges Interesse der Journalisten"

Auch den früheren Postchef Klaus Zumwinkel, der Steuern von rund einer Million Euro über Stiftungen in Liechtenstein hinterzogen haben soll, nahm der Schriftsteller in Schutz: "Der Staat sollte sich mal überlegen, warum so etwas passiert. Es gibt ja wenige Steuerflüchtlinge vom Ausland in die Bundesrepublik, oder?" Journalisten setzten in ihrer Berichterstattung bei den Lesern ein "wollüstiges Interesse" voraus: "Die wissen, es freut die Leute, wenn man zuerst sagt, dass ist einer der am edelsten aussehenden Wirtschaftsmenschen und schau mal da: korrupt, korrupt, Sumpf, Sumpf." Viele Menschen seien vom Neid befallen, wenn Manager das Hundertfache verdienten.

"Ich bin erkenntnisabweisend"

Geld sei das einzige Mittel zur Unabhängigkeit, meinte Walser gegenüber "Capital". Er selbst habe materielle Not immer gefürchtet. Statistiken über wachsende Armut in Deutschland wies Walser aber zurück: "Da bin ich absolut erkenntnisabweisend. Wenn es jetzt heißt, jeder achte Deutsche ist arm, und wenn der Staat nicht zuzahlte, dann müsste jeder vierte als arm bezeichnet werden - das kann ich mir nicht vorstellen", zitierte das Magazin den mit zahlreichen Literaturpreisen und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten 81-Jährigen.

(Ag.)

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